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Abschlussfahrt

Abschlussfahrt

Titel: Abschlussfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
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Drecksau.
    »Du bist so was von widerlich«, sage ich und muss trotzdem lachen.
    »Jahrelange Übung. Gute Nacht.«
    Ich höre, wie Marlon in sein Bett klettert.
    Es kehrt wieder Stille ein, nur das regelmäßige Atmen der Jungs erfüllt leise den Raum, Lars hat sogar aufgehört zu schnarchen.
    So, jetzt aber. Endlich schlafen. Ich schließe meine Augen. Mist. Diese blöde Decke ist viel zu dünn. Hätte nicht gedacht, dass es in der Toskana nachts so kühl ist. Schnell an etwas Warmes denken. Nele im Zug auf meinem Schoß. Ja, das fühlte sich angenehm warm an. Wäre schön, wenn sie jetzt hier wäre. Nur der Wärme wegen natürlich! Aus rein praktischen Gründen! Quasi als lebensgroße Wärmflasche. Mehr nicht. Und dafür braucht man schon ein Mädchen. Das geht ja wohl schlecht mit einem Kumpel, wie sieht das denn aus? Und Nele wäre die Einzige, die das vielleicht sogar mitmachen würde, so als rein freundschaftliche, platonische Wärmflasche. Hey, es funktioniert! Allein bei dem Gedanken wird mir gleich viel wärmer. Danke, Nele. Und jetzt endgültig: gute Nacht.

4
    »Scheiße, der ist ja echt total schief!«
    Hab ich das gerade gesagt? Ja, hab ich wohl. Mist, ich höre mich bestimmt an wie ein blöder Tourist. Bin ich zwar auch, zugegeben. So anhören wollte ich mich allerdings nicht. Aber dieser Anblick ist echt unglaublich, damit hatte ich nicht gerechnet. Keine Ahnung, wie oft ich dieses Ding schon auf Fotos, Postkarten oder im Fernsehen gesehen habe. Klar, da sah er auch schon schief aus. Aber wenn man dann leibhaftig davorsteht, ist das doch noch mal was ganz anderes. Das sieht ungelogen so aus, als würde er jeden Moment umkippen. Wie geht das überhaupt? Sind da irgendwelche Stützpfeiler oder so? Nein, nichts zu sehen. Wahnsinn. Da hat sich das frühe Aufstehen wider Erwarten wirklich gelohnt.
    Die Mädels haben uns heute Morgen geweckt. Um kurz nach sechs. Mit einer Trillerpfeife. Fieser kann man wohl kaum geweckt werden. Ich bin vor Schreck fast aus dem Bett gefallen.
    Als wir aufgestanden und ins Bad geschlurft waren, kam der nächste Schock. Allerdings nur für einen von uns. Ich denke, unsere Regel muss umbenannt werden. Es sollte nicht »Wer einschläft, hat verloren« heißen, sondern »Diego hat verloren«. Der Arme kann einem fast schon leidtun. Marlon hatte ihm auf beide Wangen einen knallroten Kreis mit jeweils einem Punkt in der Mitte gemalt. Und auf seiner Stirn stand in dicken Buchstaben leuchtend »Fickén« mit einem französischen accent über dem e. Wenn Blicke töten könnten, würde Marlon jetzt tot im Waschraum liegen.
    »Der Architekt hätte von mir nicht einen Cent gekriegt«, sagt Diego, dessen Laune sich zum Glück wieder gebessert hat.
    »Wozu soll denn das gut sein?«, will Lars wissen.
    »Zum Leuterunterschmeißen«, sagt Marlon überzeugend ernst.
    »Was, echt?«, fragt Adrian.
    »Klar«, antwortet Marlon. »Die haben da früher Verbrecher runtergeschmissen. Und damit die nicht die ganzen schönen Platten auf dem Vorplatz versauen, hat man den Turm eben schief gebaut. Guck, wenn du jetzt da oben einen runterwirfst, landet er auf dem Rasen und das Blut sickert einfach in den Boden. Sehr praktisch, die Italiener.«
    »Hammer«, sagt Seba.
    »Marlon, hör sofort auf, deine Mitschüler zu veräppeln!«, ertönt Wuttkes Stimme in unserem Rücken. »Der Campanile ist ein Glockenturm, da wurde niemand runtergeworfen.«
    »Sorry«, grinst Marlon. »Da hab ich wohl in Geschichte ausnahmsweise mal nicht aufgepasst.«
    »Ja, so wird es gewesen sein«, erwidert Wuttke. »Und darum kriegst du auch ausnahmsweise mal eine Fünf in Geschichte.«
    Marlon fällt alles aus dem Gesicht.
    »Keine Sorge«, lacht Wuttke. »Wenn jemand daran interessiert ist, dass du deinen Abschluss schaffst, dann bin ich das. Noch ein Jahr mit dir und ich bin reif für die Rente. So, und jetzt wollen wir uns Pisa mal von oben ansehen. Kommt, da drüben geht es rein.«
    »Wie jetzt?«, fragt Nele neben mir und zeigt auf den Turm. »Wir sollen da hoch? Das ist nicht Ihr Ernst, oder?«
    »Und ob das mein Ernst ist«, erwidert Wuttke. »Das hatten wir doch alles vorher besprochen. Die Besichtigung des Campanile war von Anfang an fest eingeplant.«
    »Besichtigung, ja«, sagt Nele. »Gesehen habe ich das Ding ja jetzt. Und das reicht mir auch vollkommen. Mich kriegen Sie da jedenfalls nicht rauf, das können Sie echt vergessen.«
    »Nele, du stehst hier vor einem der berühmtesten Gebäude der Welt«, seufzt Wuttke.

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