Abschlussfahrt
das hatte ich ja komplett verdrängt. Jetzt kommt erst noch der Dom. Hoffentlich gibt’s da was zu essen. Heilige Pizza oder gesegnete Lasagne oder was weiß ich, egal, Hauptsache Futter. Wenn’s sein muss, bete ich sogar vorher.
Nele und ich treten den Weg nach unten an. Diese Stufen sind abwärts echt gefährlich, vor allem, wenn man jemanden an seiner Seite hat, der sich nach wie vor weigert, die Augen aufzumachen. Aber wir schaffen es, ohne uns irgendwas zu brechen. Und erst als wir den Vorplatz betreten, öffnet Nele wieder die Augen. Meinen Arm lässt sie allerdings immer noch nicht los, aber wenigstens drückt sie nicht mehr so fest. So trotten wir Arm in Arm in Richtung Dom.
Drinnen angekommen fällt mir plötzlich wieder ein, warum ich seit meiner Kindheit keine Kirche mehr betreten habe. Mir wird in Gotteshäusern immer schlecht. Nein, das stimmt nicht ganz, sorry. Mir wird in katholischen Gotteshäusern immer schlecht. Es ist der Geruch, glaube ich. Weihrauch, oder was auch immer da so riecht. Da dreht sich mir der Magen um, das war schon früher so. Mit der Hauptgrund, warum ich nicht zur Kommunion gegangen bin. Der Geruch und meine Ehrlichkeit haben damals verhindert, dass ich zum ordentlichen Katholiken wurde. Mein Vater – nicht gerade ein großer Fan der katholischen Kirche – hatte mich gefragt, warum ich zur Kommunion gehen wollte, und ich hatte ihm die Wahrheit gesagt. Wegen der Geschenke. Warum sonst? Ich wollte unbedingt ein neues Fahrrad und zur Kommunion gibt es immer reichlich Schotter von allen möglichen Verwandten. Dafür hätte ich mich auch bereitwillig durch den Weihrauch gekämpft, ein kleines Opfer für ein großes Fahrrad. Nur leider konnte mein Vater damals mit Ehrlichkeit anscheinend nicht viel anfangen. Meine Antwort gefiel ihm irgendwie nicht und die Kommunion war gestrichen. Zuerst war ich natürlich sauer, mein schönes neues Fahrrad war ohne mich in weite Ferne geradelt. Aber als dann die ersten meiner Freunde mittwochnachmittags zum Kommunionsunterricht mussten, während ich Gott einen guten Mann sein ließ und spielen konnte, war ich doch sehr froh darüber, kein ordentlicher Katholik zu sein. Was mir meine Oma mütterlicherseits allerdings bis heute nicht verziehen hat. Obwohl ich ja gar nichts dafürkonnte. Jedenfalls war von da an nicht mehr ich, sondern mein Cousin ihr Lieblingsenkel, ein regelrechter Weihrauch-Junkie, er war damals sogar Ministrant. Dem würde wahrscheinlich auch tierisch einer abgehen in diesem Dom hier. Ich hingegen muss mich gerade tierisch beherrschen, nicht ins nächste Taufbecken zu brechen. Dieser Geruch ist echt die Hölle. Aber zum Glück habe ich ja kaum etwas im Magen, ich werde das Ganze schon noch irgendwie kotzfrei überstehen.
Über eine Stunde später atme ich endlich wieder frische Luft. Aber schlecht ist mir immer noch. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob das jetzt allein vom Weihrauch kommt, oder von Wuttkes unerträglich langweiligen Vorträgen. Was ich mir davon gemerkt habe? Wir waren gerade im Dom von Pisa. Punkt. Können wir jetzt endlich etwas essen gehen?
»Alle mal herhören, bitte!«, ruft Wuttke in die Menge. »Es ist jetzt kurz nach eins. Wir treffen uns um drei Uhr wieder genau hier. Bis dahin habt ihr Freizeit. Schaut euch die Stadt an, geht etwas essen, macht, was ihr wollt. Aber benehmt euch bitte! Denkt immer dran, wir sind hier zu Gast! Ihr seid Botschafter eures Landes! Ihr seid Deutschland! Also verhaltet euch auch so!«
Er hat den letzten Satz noch nicht ganz ausgesprochen, da haben sich bereits die üblichen Grüppchen zusammengerottet und beratschlagen, was man mit der kostbaren und vor allem aufsichtslosen Freizeit anstellen soll.
»Lasst uns irgendwo einen saufen gehen«, schlägt Marlon vor.
»Erst mal was essen, bitte«, sage ich. »Sonst kannst du mich direkt nach dem ersten Bier in die Tonne schmeißen.«
»Ja, gute Idee«, stimmt mir Seba zu. »Ich bin auch fast am Verhungern.«
»Also, ich könnte schon erst mal ein paar Bierchen vertragen«, grinst Lars.
»Oh, Mann, könnt ihr euch vielleicht mal entscheiden?«, stöhnt Marlon. »Essen oder saufen?«
Wir stimmen ab, und dank der Mädels siegt die Vernunft, also das Essen.
Nele schnappt sich wieder meinen Arm. Was soll das denn? Das wird ja noch zur Gewohnheit. Aber okay, es ist mir ja nicht gerade unangenehm, also lasse ich sie.
Wir latschen eine ganze Weile durch die Stadt auf der Suche nach etwas Essbarem.
Es ist unglaublich. Bei uns
Weitere Kostenlose Bücher