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Abschlussfahrt

Abschlussfahrt

Titel: Abschlussfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
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»Und du hast heute die vielleicht einmalige Chance, dir dieses schöne Städtchen von dort oben anzusehen. Wer weiß, ob du jemals wieder hierherkommst. Das solltest du dir wirklich nicht entgehen lassen. Wenn wir in Paris wären, würdest du doch mit Sicherheit auch auf den Eiffelturm steigen, oder etwa nicht?«
    »Der Eiffelturm kann mir erst recht gestohlen bleiben«, sagt Nele. »Der ist ja noch höher als dieses schiefe Monstrum hier. Ich habe Höhenangst, Herr Wuttke. Und zwar extrem. Wenn Sie mich da mit hochschleifen, werde ich die ganze Zeit schreien. Und ich kann sehr laut schreien, Herr Wuttke.«
    »Ach, das halte ich schon aus«, grinst Wuttke. »Außerdem haben deine Eltern fünfzehn Euro für die Eintrittskarte bezahlt. Jetzt stell dir mal ihre enttäuschten Gesichter vor, wenn du ihnen erzählst, du warst nicht mit auf dem Turm.«
    »Stellen Sie sich lieber mal ihre enttäuschten Gesichter vor, wenn sie erfahren, dass ich vor lauter Panik da oben runtergesprungen bin und in einer Kiste nach Hause komme.«
    »Ich bin mir sicher, das wird nicht passieren«, sagt Wuttke. »Und jetzt Ende der Diskussion und rauf auf den Turm.«
    Wuttke stapft voran Richtung Eingang.
    Nele greift nach meiner Hand und drückt sie ganz fest.
    »Du lässt mich nicht mehr los, bis wir wieder unten sind, okay?« Sie sieht mich ängstlich an.
    »Keine Sorge«, sage ich. »Ich pass schon auf, dass du nicht in einer Kiste nach Hause fährst.«
    Wir reihen uns ein und betreten den Turm. Der Gang nach oben ist ziemlich eng und die Stufen schief und krumm.
    Nele hat sich mittlerweile fest an meinen Arm gekrallt und wir klettern im Gänsemarsch nach oben. Direkt neben uns geht es steil nach unten. So ganz ungefährlich ist das hier wirklich nicht, aber auch irgendwie klasse, jedenfalls, wenn man keine Höhenangst hat. Nele wimmert leise vor sich hin und hat die Augen fest geschlossen. Sie hat anscheinend nicht übertrieben, ihr geht es wirklich dreckig. Muss ganz schön scheiße sein, so eine Angst zu haben. Zum Glück habe ich so was nicht. Okay, ich stehe nicht unbedingt auf Kriechtiere, aber panisch werde ich bei ihrem Anblick nicht.
    »Tief durchatmen«, versuche ich Nele zu beruhigen. »Du hast es bald geschafft, wir sind gleich oben.«
    »Ja, aber dann müssen wir wieder runter«, jammert sie. »Das ist auch nicht viel besser.«
    Ein paar Stufen noch, dann sind wir oben angekommen. Und ich muss erneut zugeben, das hat sich wirklich gelohnt. Auch wenn die Schräglage ein bisschen unheimlich ist, weil man ständig das Gefühl hat, vornüberzukippen, die Aussicht ist einfach fantastisch. Ich versuche einen Schritt in Richtung Geländer zu machen, aber Nele hält mich zurück.
    »Nein!«, sagt sie panisch und drückt sich an die Wand. »Nicht nach vorne! Bleib hier! Bitte!«
    »Okay«, seufze ich. »Aber dann mach wenigstens mal kurz die Augen auf. Es ist echt wunderschön hier oben.«
    »Glaub ich nicht«, wimmert sie. »Unten ist es viel schöner. Ich gucke erst wieder, wenn wir unten sind.«
    »Ach, jetzt komm schon«, versuche ich sie zu überzeugen. »Nur ganz kurz. Du verpasst echt was.«
    Neles Hand löst sich von der Wand und greift in ihre Jackentasche.
    »Hier«, sagt sie und drückt mir ihr Handy in die Hand. »Mach ein Foto. Das guck ich mir dann unten in Ruhe an.«
    »Okay.« Ich lache und klappe ihr Handy auf. »Wie geht das denn hier? Ich kenn mich mit deinem Handy nicht aus. Wie komm ich denn ins Hauptmenü?«
    »Oben links«, antwortet Nele. »Oben links und dann auf Camera.«
    »Wie, oben links? Da passiert überhaupt nichts. Kapier ich nicht, das Teil.«
    »Oh, Mann! Das ist doch ganz einfach! Gib mal her!«
    Sie nimmt mir das Handy ab und drückt darauf herum. Ich muss mich beherrschen, nicht zu grinsen. Meine Ablenkung hat funktioniert, ihre Augen sind offen.
    »So, hier«, sagt sie und gibt mir das Handy zurück. »Jetzt musst du nur noch da draufdrücken und kannst so viele Fotos machen, wie du willst.«
    »Nicht mehr nötig«, lächle ich sie an und trete schnell einen Schritt zur Seite. »Jetzt siehst du es ja doch noch live.«
    »Was? Oh, Scheiße!«
    Sie schließt sofort wieder die Augen und presst sich an die Wand.
    »Du spinnst wohl!«, sagt sie und schlägt mit einem Arm nach mir, trifft mich aber nicht. »Das war echt fies!«
    »Was denn?«, lache ich. »Hat doch funktioniert. Du darfst nur nicht dran denken, dann hast du auch keine Höhenangst.«
    »Jonas, ich stehe auf einem Turm!«, sagt sie. »Auf

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