Abschlussfahrt
Miene. »Ihr wollt mich wohl veräppeln. Da erkennt man doch gar nichts drauf.«
Genauso ist es. Sonst hätte ich ihm die Kamera auch mit Sicherheit nicht gegeben. Die Fotos sind total scheiße geworden. Auf dem einen sieht man das leere obere Bett. Das zweite Foto zeigt eine unscharfe Bettlaken-Hügelkette. Und auf dem dritten leuchtet einem am unteren linken Bildrand ein Stück von Strolchs Stirn entgegen. Wegen dieser fotografischen Meisterleistung wird mit Sicherheit niemand nach Hause geschickt.
Strolch atmet erleichtert aus, was zur Folge hat, dass die Tischdecke wieder gefährlich weit nach unten rutscht.
»Wie wäre es, wenn du dir endlich etwas anziehst, Christian?«, stöhnt Wuttke.
»Äh … ja«, erwidert Strolch verlegen. »Gute Idee.«
»Und ihr anderen könnt auch gerne wieder nach unten gehen«, wendet Wuttke sich an uns. »Ihr könnt einem nämlich echt den letzten Nerv rauben mit eurem Blödsinn.«
Er drückt Marlon seufzend die Kamera in die Hand und wir bewegen uns langsam auf den Ausgang zu.
Kaum, dass wir um die Ecke gebogen sind, stürzen sich natürlich alle auf die Fotos.
»Ich hab gedacht, ich sterbe, als du Wuttke die Kamera gegeben hast«, sagt Strolch.
»Keine Sorge«, sage ich. »Wäre da wirklich was zu sehen gewesen, hätte ich es natürlich vorher gelöscht.«
»Mann, Mist!«, flucht Marlon. »Da ist ja echt nix drauf zu sehen.«
»Du bist wahrscheinlich der mieseste Paparazzo in ganz Italien«, stichele ich.
»Eher auf der ganzen Welt«, bemerkt Seba.
»Ey, schon vergessen? Das war scheißdunkel da drin!«, wehrt sich Marlon.
»Da war’s aber nicht mehr dunkel«, sagt Lars und zeigt auf das Bild von Strolchs abgeschnittener Stirn.
»Dann machst du eben beim nächsten Mal die Fotos«, motzt Marlon. »Mir doch egal.«
»Kein nächstes Mal!«, protestiert Strolch. »Noch ein Mal so eine Aktion und deine Scheißkamera macht Aufnahmen, die jede Krankenkasse als Darmspiegelung akzeptieren würde! Kapiert?«
»Jaja, ist schon gut.« Marlon grinst breit. »War doch nur Spaß. Kein Grund gleich die Hosen runterzulassen.«
Strolch schaut an sich hinunter, die Tischdecke liegt auf dem Boden.
»Oh, Mann, fuck!«, flucht Strolch und bückt sich, um sie aufzuheben.
»Bitte tu das nie wieder«, sagt Henny, die hinter ihm steht, unter gespielten Würgegeräuschen. »Wenn Susi dich aus dieser Perspektive sieht, war’s das nämlich.«
»Haha, sehr witzig«, brummt Strolch. »Nur zu deiner Information: Susi liebt mich aus jeder Perspektive.«
Henny verzieht das Gesicht. »Igitt. Ist ja eklig. Das war nun ein bisschen mehr Information, als ich gebraucht habe.«
Strolch stapft wortlos davon.
»So viel dazu«, sagt Marlon. »Kommt, lasst uns noch ’ne Runde zocken.«
»Okay«, sagt Diego. »Aber lasst mich noch schnell fertig mixen.«
Wir setzen uns wieder an den Tisch, und als Diego mit dem letzten O-Saft-Karton und dem restlichen Bier zurückkommt, fangen wir wieder an zu pokern.
Yvonne schlägt sich wider Marlons Erwarten erneut sehr gut, zumindest schmeißt sie ihn raus, was ihm natürlich gar nicht passt. Ich komme wieder ins Endspiel und gewinne gegen Diego. Na also, doch noch mit Plus aus diesem Abend herausgegangen.
Wir lassen gerade den Wodka-O ein letztes Mal kreisen, als der Rest der Klasse von oben eintrudelt, Wuttke hat anscheinend zur Nachtruhe geblasen.
»Perfektes Timing«, sagt Marlon und feuert den leeren Karton und die Bierdosen in den Mülleimer. »Habe gerade die nötige Bettschwere.«
»Ich auch«, gähnt Diego und streckt sich. »Wo geht’s eigentlich morgen hin?«
»Zuerst nach Florenz«, antwortet Yvonne. »Und nachmittags ist dann die Schnitzeljagd hier in Lucca.«
»Na super«, seufzt Seba. »Klingt nach einem verdammt langen Tag.«
Wir verabschieden uns von den Mädels.
»Nacht. Schlaf gut«, sagt Nele und drückt mir einen langen Kuss auf die Wange.
Hä? Was soll das denn auf einmal? Hatten wir uns nicht irgendwann mal darauf geeinigt, diese Begrüßungs- und Abschiedsknutscherei nicht mitzumachen, weil wir sie beide albern finden? Nicht, dass ich das gerade albern finde oder unangenehm, im Gegenteil, dieser Gutenachtkuss hat tatsächlich etwas sehr Schönes.
»Ja, du auch. Nacht.«
Ich küsse sie zurück, aber nicht so lange, eher kurz, dafür ein bisschen kräftiger.
Wir gehen alle auf unser Zimmer und machen uns fertig fürs Bad. Auf dem Weg dorthin hält Seba mich plötzlich am T-Shirt fest, sodass wir ein Stück hinter den
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