Abschlussfahrt
Bewegungen. Rhythmische Bewegungen verursachen Schwingungen. Schwingungen versetzen die Matratze in Bewegung. Die Matratze versetzt den Drahtrost in Bewegung. Der Drahtrost fängt an zu quietschen. Das Quietschen weckt alle auf. Das Gelächter und die Sprüche verfolgen mich für den Rest meines Lebens. Also ein deutliches Minus im technischen Bereich. Wie sieht es mit der moralischen Seite aus? Darf man sich auf seine beste und vor allem platonische Freundin in einem Notfall wie diesem einen runterholen? Was würde Nele dazu sagen? Was würde Neles Mutter dazu sagen? Nein, Neles Mutter lassen wir mal außen vor, die wird am besten erst gar nicht gefragt. Und was meine rechte Hand dazu sagen würde, ist offensichtlich, die zeigt Moral und Ethik grundsätzlich immer den Mittelfinger. Aber wie ich mich morgen früh fühle, wenn ich Nele gegenüberstehe und genau weiß, ich habe mir einen auf sie runtergeholt, das interessiert meine werte Hand natürlich einen Scheißdreck. Da! Jetzt versucht sie schon wieder, sich heimlich ein Stück nach unten zu schleichen! Hallo? Siehst du da unten etwa irgendwo eine grüne Ampel? Die Entscheidung ist noch nicht gefällt, bleib gefälligst, wo du bist! Und wieder schiebt sie sich ein Stück weiter. Hey, bist du taub, oder was? Oben bleiben, hab ich gesagt! Und noch ein Stück. Ach, mach doch, was du willst! Mir doch egal, auf mich hört ja eh keiner hier! Unglaublich, oder? Da denkt man immer, das ist mein Körper, den hab ich im Griff, und dann so was. Aber sei gefälligst vorsichtig, ich will kein einziges Quietschen hören, kapiert?!
Wenigstens etwas, sie scheint sich dran zu halten. Ein erster, zaghafter Versuch verläuft absolut geräuschlos. Der zweite auch. Okay, weiter im Takt, diesmal ein bisschen mutiger. Mist, jetzt hat es doch kurz gequietscht! Kurze Lauschpause, alles bleibt ruhig, sehr gut.
Der nächste Versuch. Scheiße, was ist das denn jetzt? Es quietscht, obwohl ich mich gar nicht bewege? Da, schon wieder, und zwar richtig laut! Fuck, das bin ja gar nicht ich, das kommt von nebenan, das ist Marlon! Hoffentlich hat er nichts gemerkt, sonst bin ich geliefert. Das ist alles deine Schuld, blöde Hand, blöde!
Plötzlich steigt mir der beißende Geruch eines Eddings in die Nase. Aha, Marlon hat es also auf mich abgesehen. Ich spüre seinen Atem an meiner Wange vorbeistreichen. Nicht mit mir, Freundchen.
»Ein einziger Strich und du bist tot«, brumme ich leise.
»Scheiße, erschreck mich doch nicht so!«
»Ich schlafe nicht. Also hab ich auch nicht verloren.«
»Mist«, flucht Marlon. »Ich hatte so was Geiles für dich. Aber okay, dann ist heute eben jemand anders dran. Gute Nacht.«
»Ja, du mich auch.«
Marlon dreht sich um und kniet sich vor Lars’ Bett auf den Boden. Ja, genau, nimm Lars, nichts dagegen. Hauptsache, es geht schnell. Ich will endlich schlafen. Gute Nacht.
5
»Iiiiih! Was ist das denn?«, weckt mich ein unangenehmes Fiepen.
Jemand lacht. Marlon. Und das Fiepen kommt natürlich von Yvonne.
»Marlon! Du sagst mir jetzt sofort, was das ist! Habt ihr hier Bier verschüttet, oder was?«
Ich hebe den Kopf. Unsere Tür ist weit geöffnet und im Türrahmen stehen Nele und Henny. Yvonne steht vor ihnen. Sie tritt von einem Fuß auf den anderen und schaut verwirrt nach unten. Ich muss mich aufrichten, um den Boden sehen zu können. Yvonne steht mitten in einer großen Pfütze. Und sie hat Flip-Flops an. Sehr flache Flip-Flops.
»Nein, das riecht nicht nach Bier«, stellt Yvonne fest und schnuppert skeptisch. »Aber Wasser ist es auch nicht.«
Mein Blick wandert zu Marlon. Oh, nein. Das ist jetzt nicht wahr, oder? Sag, dass das nicht wahr ist. Das hast du nicht gemacht. Dafür bist selbst du nicht krank genug.
Die anderen sind mittlerweile auch alle wach, bis auf Lars, der schläft immer wie ein Stein.
»Was macht ihr denn hier für’n Lärm?«, brummt Diego.
»Oh, Mann«, höre ich Adrian gähnen. »Müssen wir echt schon wieder aufstehen?«
»Morgen!«, höre ich Seba unter mir. »Sagt mal, täusche ich mich, oder stinkt’s hier irgendwie nach Pisse?«
Also doch. Er hat es getan. Er hat irgendwann heute Nacht einfach an die Tür gepisst.
»Pisse?«, fiept Yvonne und starrt fassungslos auf den Boden.
Marlons Lache überschlägt sich, er kriegt kaum noch Luft.
Yvonne realisiert endlich, was Sache ist.
»Marlon, du verdammte Drecksau!«, quiekt sie und springt mit einem Satz nach draußen. »Wie kann jemand nur so asozial sein!«
Sie
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