Abschlussfahrt
sich und zeigt auf Marlon. »Der hat uns fotografiert, das Schwein!«
»Aha«, sagt Wuttke. »Er hat euch also fotografiert. Ich nehme an, damit meinst du Susi und dich?«
Strolch nickt und zupft an seiner Tischdecke herum, die immer wieder nach unten rutscht.
»Und ihr werdet nicht gerne fotografiert oder wie darf ich das verstehen?«
»Doch, normalerweise schon«, erwidert Strolch. »Aber doch nicht … aber nicht …«
Ich glaube fast sehen zu können, wie bei Strolch ein Licht angeht. Es ist mit Sicherheit keine gute Idee, Wuttke zu erzählen, dass Marlon Susi und ihn ausgerechnet dabei fotografiert hat, wie sie sich ganz doll lieb hatten.
Strolch ringt verzweifelt nach einem plausiblen Ersatz für die Wahrheit.
»Bevor du weiterredest, Christian«, unterbricht ihn Wuttke, »wie lautete noch mal gleich unsere Regel für den sexuellen Kontakt zwischen Klassenmitgliedern während der Abschlussfahrt?«
Natürlich hat Wuttke sofort kapiert, was Sache ist, dazu kennt er Susi und Strolch zu gut und zu lange.
»Äh …«, stammelt Strolch.
»Genau«, sagt Wuttke. »Die Regel lautete: Jeglicher Sex unter Klassenmitgliedern führt zur sofortigen Heimreise der Beteiligten.«
»Ja, aber … aber …«, ringt Strolch wieder nach Worten, »wer hat denn irgendwas von Sex gesagt? Wie kommen Sie denn jetzt da drauf? Von Sex war doch nie die Rede!«
Angriff ist die beste Verteidigung. Netter Versuch, aber darauf fällt ein Wuttke bestimmt nicht rein.
»Oh, entschuldige bitte!«, grinst Wuttke. »Ich wollte euch da natürlich nichts unterstellen, mitnichten! Aber dann verstehe ich nicht so ganz, warum du wegen ein paar harmloser Fotos so sauer wirst, dass du dir gleich die Klamotten vom Leib reißt. Kannst du mir das vielleicht mal erklären, Christian? Hm?«
»Tja, ich … ähm …«, stammelt Strolch verlegen. »Wissen Sie, das war so … ich … wir …«
»Ach, weißt du was?«, sagt Wuttke. »Am besten wir gucken uns die Fotos mal an. Wie heißt es doch so schön? Bilder sagen mehr als tausend Worte, nicht wahr?«
Oh, fuck! Wenn Wuttke die Bilder sieht, war’s das für Susi und Strolch.
Susen Klaucke und Christian Strolch betrieben auf der Abschlussfahrt entgegen allen Anweisungen gemeinsam sexuelle Unzucht. Obwohl Christians genitale Ausstattung laut Augenzeugen (Henriette Rendel) für quasi nicht vorhanden und somit ungefährlich befunden wurde, war die Beweislast erdrückend (siehe Fotos/Anhang 1a). Die beiden wurden unverzüglich in zeitversetzt abfahrende Züge gesetzt und wieder in die Obhut ihrer Eltern gegeben, die selbstverständlich für alle anfallenden Kosten aufkommen müssen und ihre triebgesteuerten Zöglinge dafür bestimmt ganz doll lieb haben werden.
So war das natürlich nicht geplant, auch nicht von Marlon. Das muss unbedingt verhindert werden. Ich ziehe mich unauffällig zurück und greife nach der Kamera in meiner Hosentasche. Das Praktischste an Digitalkameras: Man kann die Bilder ruck, zuck löschen. Keine Bilder, kein Beweis, so einfach ist das.
»Marlon, die Fotos!«, höre ich Wuttke sagen, während ich darauf warte, dass die Kamera hochfährt.
»Hab ich nicht«, sagt Marlon.
»Komm, jetzt hör auf mit den Faxen und gib mir die Kamera!«, befiehlt Wuttke.
»Aber ich hab sie echt nicht! Hier, Sie können mich gerne durchsuchen.«
Ich blicke kurz auf und sehe Marlon, wie er seine Hosentaschen nach außen krempelt und sein T-Shirt nach oben zieht.
Endlich. Die Kamera ist hochgefahren. Gleich alle löschen? Nein, dazu bin ich dann doch zu neugierig. Erst muss ich mir die Bilder natürlich angucken.
»Sehen Sie?«, höre ich Marlon sagen. »Keine Kamera.«
»Und wer hat sie dann, bitte schön?«, stöhnt Wuttke genervt.
»Ich!«, rufe ich laut. »Hier! Ich habe sie!«
Ich bahne mir den Weg durch die Menge und gehe auf Wuttke zu. Marlon wirft mir einen verständnislosen, strafenden Blick zu. Strolch funkelt mich an, als wollte er mir gleich eigenhändig den Kopf abreißen. Ich zucke kurz hilflos mit den Schultern und reiche Wuttke die Kamera.
»So«, sagt er, »dann wollen wir doch mal sehen, was hier genau zu sehen ist. Muss ich irgendwo draufdrücken, oder wie geht das?«
»Die Taste mit dem Pfeil nach rechts«, erkläre ich. »Es sind nur drei Fotos.«
Wuttke hält sich das Display direkt vor die Nase. Gespannte Stille. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, bis er wieder aufblickt.
»Und deswegen veranstaltet ihr hier so ein Theater?«, sagt er mit skeptischer
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