Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall
Sie mochte das Mädchen, begann sogar, was sie vorher nie getan hatte,
Kadir unter einem Vorwand im Meridian Club, in dessen weitläufiger Pracht sie
sich verloren und unscheinbar fühlte, zu besuchen, um sich danach bei Seda an
die Rezeption zu stellen und mit ihr zu plauschen. Das arme Mädchen, dachte sie
oft, der Vater so weit fort, irgendwo in der Welt, keine eigene Mama mehr
sondern nur eine Stiefmutter! Und da Latifes eigene Töchter nicht greifbar
waren, fing Latife an, Seda zu verhätscheln und zu bemuttern. Nach und nach verblassten
Sedas Wunden, und Latife bemerkte erstaunt, wie gerne sie Seda ansah, lieber
noch als die schöne Ärztin, die ihr mit ihren makellosen Zügen doch manches Mal
wie von einem anderen Stern erschienen war. Eine Hoffnung begann in ihrem
Herzen zu keimen, eine Hoffnung, von der sie, ihrem Gelübde treu, keiner
Menschenseele etwas verriet, außer natürlich ihren besten Freundinnen Hatun und
Ayse.
» Anne ,
der Bütter Mannschaftsarzt ist sicherlich hervorragend, aber ich fürchte gegen
dein Halsreißen wird auch er nichts ausrichten können«, erwiderte Kadir mit
regloser Miene, denn er wusste, was ihm blühte, wenn er durch ein leichtes
Zucken der Mundwinkel auch nur andeutete, dass er die hundert Krankheiten und
Zipperlein seiner Mutter nicht ernst nahm.
»Nun
gut, mein Sohn, wenn du mir nicht helfen willst, dann frage ich eben Seda. Sie verschafft mir bestimmt Zutritt!«
Kadir
nahm einen Schluck Tee und wich dem Blick seiner Mutter aus, die ihn unverwandt
unter halbgeschlossenen Lidern anstarrte, um jede seiner Reaktionen
mitzubekommen.
Nazmi
lächelte verhalten. Wie Katz und Maus, die beiden, dachte er, wie Katz und
Maus. Nazmi traute es Latife durchaus zu, dass sie sich von Hatun einen
Kinderpfeil in den Hals schießen lassen würde, nur um Zutritt zu dem
Wunderdoktor zu erhalten. Er sollte Seda anrufen und sie warnen, dass seine
Frau im Anmarsch war, eventuell mit einem spitzen Gegenstand im Nacken.
Vielleicht wäre es klug, sie darüber hinaus zu warnen, dass sie sich nicht
wundern sollte, wenn Kadir ihr bei der nächsten Begegnung nicht gerade in die
Auge schauen würde, da er die Stimme seiner Mutter im Ohr hatte, die Sedas
Vorzüge anpries.
Wie Katz und Maus, dachte Nazmi,
auch diese beiden.
»Oh,
Fräulein Seda, Sie können es sich nicht vorstellen! Der Schnee liegt meterhoch
auf dem Jungfernstieg, die Außenalster, dies Gewässer von recht erklecklichem
Ausmaße, ist in Gänze zugefroren. Jung und Alt tummelt sich und frönt dem
Eisvergnügen.« Herbert Schmalfuß streckte seine Beine aus, die in hellen
Gabardinehosen mit akkurater Bügelfalte steckten, und erinnerte sich mit
Schrecken an die Stunden des bangen Wartens, bis sein Flugzeug im dichten
Schneegestöber endlich von Fuhlsbüttel abheben konnte.
»Was
marterte mich die Sorge, dass ich womöglich gar nicht wegkäme, dass ich bleiben
müsste in dieser Schneehölle, die doch recht eigentlich nur etwas für Kinder Erquickliches
ist, nicht wahr?«
Seda
griff in eine Tüte mit Sonnenblumenkernen und dachte an das namenlose
Entzücken, als sie ihren ersten Schnee in Helsinki erlebt hatte. Das Entzücken
hatte sich nach nur wenigen Tagen in Grauen vor den immer höher werdenden
Schneebergen verwandelt, und sie hatte auch später nie Gefallen an Kälte,
Almromantik und Wintersport gefunden.
»Warum
rennen die denn um diese lustigen Hütchen herum?«
Herbert
Schmalfuß beschattete seine Augen mit der Hand und folgte Sedas Blick. Sie
saßen auf der Tribüne des Super World of Football und beobachteten das
Training des SV Bütte-Erkenroytz. Auf dem Platz daneben trainierten Amateure
aus Dereköy, der Dereköy Spor Kulübü. Immer wieder blieben die Spieler stehen
und sahen nach den Profis, bis der energische Trainer, ein Cousin des komiser Reikf Dalga, sie zur Ordnung rief.
»Meines
Wissens fördert diese Art der Leibesertüchtigung die Schnelligkeit und
Geschicklichkeit.«
»Na,
ich würde es lieber so gemütlich angehen lassen wie der dort hinten!«, lachte
Seda und zeigte auf Schaf Willem, der an der Seitenlinie stand und gemächlich
am Rasen zupfte. Ab und an hob er den Kopf und vergewisserte sich, dass seine
Jungs noch da waren und ordentlich ins Schwitzen kamen.
» Orda
bir kedi geciyor «, ließ sich Schmalfuß stolz vernehmen und deutete
ebenfalls auf das Schaf. Seda lächelte.
»Habe
ich es getroffen?«
»Nicht
ganz, Herr Schmalfuß, Sie sagten: ‚Da läuft eine Katze‘. Aber Sie machen
prächtige
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