Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall
Anhänger setzt sich während
des Spiels hin.«
»Aber
das Spiel hat doch noch gar nicht angefangen!«, maulte Latife.
»Ey, canim , nun hör schon auf, wir sehen doch ganz prächtig von hier aus!«,
besänftigte nun auch Latifes Nachbarin und Freundin Hatun, die es sich nicht
hatte nehmen lassen, ihren Neffen, der heute gegen die berühmte deutsche
Mannschaft spielen würde, anzufeuern. Sie öffnete eine große Kühltasche, die
neben ihr auf dem Sitz stand, und holte einen XXL-Karton ayran und eine
Schüssel mit Kartoffelsalat hervor.
»Aber
wie soll man denn das hier essen?«, maulte Latife weiter, während sie sich
schon die Lippen leckte. Wortlos zog Hatun einen Korb unter ihrem Sitz hervor
und deutete auf Besteck und Plastikschüsseln.
»Egal
wo sie sind, die beiden verwandeln jeden Ort sofort in ihr Wohnzimmer«, flüsterte
Nazmi Bülbül Seda ins Ohr. Seda, die mit Kadirs Vater hinter den beiden Frauen
und Herbert Schmalfuß saß, lächelte und beobachtete, wie Hatun sorgsam die
Schüsselchen füllte und an die Umsitzenden verteilte, auch an die, die nicht zu
ihren Bekannten und Verwandten gehörten, sondern nur zufällig in der Nähe Platz
genommen hatten.
»Wo
ist denn Kadir? Wo bleibt mein Sohn? Bin ich nicht extra wegen ihm gekommen, um
zu sehen, was für Leute er bewachen muss? Würde ich sonst jemals zu einer
Sportveranstaltung gehen, die ich weder verstehen noch gutheißen kann?«
»Den
da drüben muss er bewachen!« Seda deutete auf Willem, der lässig an der
Trainerbank lehnte.
»Ich
dachte, du wärest wegen meines Neffen mitgekommen?« Hatun zögerte der Freundin
ihren Kartoffelsalat zu reichen, doch Latife schnappte schnell zu und
schnupperte wohlig an ihrer Schüssel.
»Du
bist eine Meisterköchin!«, lenkte sie ab und Hatun vertiefte sich wieder in
ihre Arbeit.
»Voll
bis zur letzten Bank«, stellte Nazmi fest. »Ganz Dereköy scheint hier zu sein.«
»Da
werden es die Bütter schwer haben!« Seda sah sich um. »Sind aber auch viele
Touristen hier, und ich möchte wetten, auch die Klippenkläffer sind inkognito
anwesend, um sich mal richtig zu amüsieren!«
»Inkognito?«
Schmalfuß, der bei jedem Wort, das ein Verbrechen andeuten könnte, aufmerksam
wurde, drehte sich zu Seda um.
»Ja«,
nickte Seda ernsthaft. »Ganz ohne Pelzbehang und tonnenschwere Klunker.«
Die
Mannschaften trabten gemächlich auf den Platz und das türkische Publikum johlte
und klatschte begeistert. Der blau-rosa Block hielt gut dagegen, und Latife
Bülbül stellte pikiert ihren Kartoffelsalat auf den Boden neben ihre Handtasche
und hielt sich demonstrativ mit beiden Handflächen die Ohren zu.
»Anpfiff!
Los geht’s!«, rief Schmalfuß, der sich in einer Woge der Ekstase quer durch
Zeit und Raum ins Millerntor-Stadion geschwemmt fühlte, mit hoher Fistelstimme.
Seda
lehnte sich vor und stützte das Kinn auf ihre geballten Fäuste. Angestrengt versuchte
sie sich alles, was ihr Vater ihr erklärt hatte, ins Gedächtnis zu rufen und dem
Spiel zu folgen, doch wie immer glitten ihre Gedanken in eine andere Richtung,
und sie verlor den Faden. Dieser Cem Yildiz gefiel ihr wirklich gut, und wie
hübsch er sich da auf dem grünen Rasen ausnahm! Er hatte immer ein freundliches
Wort, wenn er an der Rezeption vorbeikam, war nicht so von oben herab wie
manche andere, namentlich dieser Eisblock von Norweger. Wenn der mit ihr
sprach, kam es Seda so vor, als würde er sie gar nicht richtig wahrnehmen, als
sei sie nur ein Gegenstand, der überraschenderweise lebendig war und somit etwas
für ihn erledigen konnte. Wo war der Typ überhaupt? Durfte er nicht mitspielen?
Aber, du liebe Güte, da wimmelten so viele Leute auf dem Platz durcheinander,
wer konnte schon wissen, wer mitkickte und wer nicht? Nun, Blau-Rosa müsste er
tragen, soviel war sicher. Seda kniff die Augen zusammen und versuchte Hakan
Hunsfos auf dem Platz zu erkennen. Ob sie sich doch die Haare wieder wachsen
lassen sollte? Manchmal dachte sie, es wäre eine gute Idee, aber dann erinnerte
sie sich wieder an die ganze Arbeit, und Rüya sagte auch, dass ihr Gesicht wie
geschaffen sei für einen Pixie, also… oh je, dachte Seda, da ist einer von den
Büttern hingeplumpst, hat die Nummer 14 von Dereköy was damit zu tun? Warum
steht er da, mit hocherhobenen Händen, als ob er gleich erschossen werden
sollte? Warum steht der Bütter nicht wieder auf? Wälzt sich wie Schäfchen Willem
im Gras! Warum tut er das? Ui, der Schiedsrichter schimpft aber
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