Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall
Hast du die Grenzlinie übertreten? Bist du
wieder am Tennisplatz vorbei zum Nebengebäude gepirscht? Mmmh?«
Himmel,
warum hat sie dies Balg nicht einfach schon direkt nach der Geburt ersäuft?
dachte Julia Grambrod und schlürfte den Schaum von ihrem Café Latte. Oder noch
besser: Warum hat die Saskiamutter nicht schon das Saskiababy heimlich, still
und leise nach der Geburt entsorgt? Dann müsste ich mir jetzt nicht die Frage
stellen, warum diese Frau jeden Tag wie ein Magnet an unseren Tisch gezogen
wird! Wenn sie keine neuen Leute kennenlernen möchte, bitte, aber ich bin da
anders. Heute Abend stehe ich auf und setze mich woandershin, egal ob Max
mitkommt oder nicht. Ich ertrage diese Visagen nicht mehr, ich ertrage keine
Entenstimmen, Ringelpullis und Kängurubeutel mehr! Und nun hat Max auch noch
diesen Etepetete-Langweiler Herbert angeschleppt…
Schmalfuß
beobachtete, wie sich der Kopf des Jungen im Zeitlupentempo hob. Ausdruckslos
sah er seine Mutter an, strich sich das strähnige Haar hinter die Ohren und zog
die Unterlippe zwischen die Zähne. Wortlos blickten sich die beiden in einem
stummen Kräftemessen an.
Vorsichtig
bestrich Schmalfuß seine Knäckebrotteile mit Quark und lauschte dem
unvermindert anhaltenden Schmatzen zu seiner Rechten. In harmonischem, immer
gleichbleibendem Rhythmus bewegten sich Gabel und Messer in eingespielter
Choreografie auf und ab. Er scheint, dachte Schmalfuß, im ganzen Raum,
vermutlich sogar im ganzen Hotel der Einzige zu sein, der mit sich und der Welt
im Reinen ist.
»So
eine Schlampe!«
Die
Umsitzenden erstarrten und selbst Grambrod geriet einen Moment ins Stocken.
Entgeistert wandten sich alle Blicke Nikolaus zu, der in stimmbruchkieksendem
Falsett sein empörtes Verdikt gesprochen hatte. Saskia Haverkorns Wangen
verfärbten sich, und noch ehe jemand etwas sagen konnte, schnellte ihre Hand
vor und schnappte sich das Ohrläppchen ihres Sohnes.
»Au,
au, Mami, aua, hör auf, es ist mir nur so rausgerutscht! Ich sag das böse
S-Wort nie wieder, nie wieder!« Alle störrischen Pubertätsallüren waren von
Nikolaus gewichen, und er wimmerte wie ein kleines Kind, während er mit beiden
Fäusten sein Ohr rieb. Schmalfuß rührte in seinem Tee und überlegte, wann er
diese Art der Züchtigung das letzte Mal gesehen hatte. Es musste während seiner
Schulzeit in den fünfziger Jahren gewesen sein, erkannte er erstaunt.
»Aber
die Frau hat wirklich ganz böse Sachen geschrieben!« Tränen stiegen in Nikolaus
Augen und sein Mund verzog sich zu einem weinerlichen Quadrat. Julia, der es
bei diesem Anblick lieber gewesen wäre, wenn der Junge in seiner echsenhaften
Starre verblieben wäre, wandte den Blick ab und schielte auf den Teller ihres
Mannes, auf dem nur noch ein kleines Zipfelchen Wurst in einer Fettlache
dümpelte. Iss nur, mein Dickerchen, iss, soviel du willst und kannst! Da freut
sich die Madlen.
»Wovon
redest du überhaupt? Hat dir jemand etwas getan, Läuschen?«, wisperte Saskia,
nun wieder ganz zärtliche und besorgte Mutter.
»Na,
von der da rede ich!« Nikolaus stach mit dem Finger auf seinen Tablet-PC ein.
»Als
hätte ich deinem Vater nicht gesagt, dass du noch zu jung bist für solch ein
Gerät! Zeig her, was hast du da gelesen?«
»Nur
was ich jeden Morgen lese – das Trainingslager-Tagebuch von dieser Ratzki. Und
nun hat sie über Hakan Hunsfos… und über die Bütter… ich kapier das alles
nicht, ey! So eine dreckige Schla…«
Saskia
Haverkorn hob den Finger und Nikolaus verstummte.
»Dürfte
ich? Das interessiert mich auch!«
Schmalfuß,
der sich an das Gespräch über den Artikel von Eva Ratzki erinnerte, das er
vorhin im Vorbeigehen mit angehört hatte, streckte die Hand aus, und Saskia
Haverkorn reichte ihm den PC, nicht ohne dafür einen mauligen Blick von ihrem
Sohn zu kassieren.
»Lesen
Sie vor!«, schmatzte Grambrod und langte nach dem übriggebliebenen Croissant
auf dem Teller seiner Frau. »Nichts ist gemütlicher, als beim Frühstück was
vorgelesen zu bekommen, gell? Gehst du noch mal für mich los, Schatz? Dieses
türkische Fladenbrot mit dem Weintraubenaufstrich…?«
Schmalfuß
räusperte sich und las:
» Trainingslager-Tagebuch,
von Eva Ratzki, Sporttwenty4seven.
Trauer
um einen Fußballstar
Der
Tod macht auch vor Talent und Ruhm nicht halt, und so verlässt einer der ganz
Großen seiner Zunft das Spielfeld des Lebens. Im Alter von nur 24 Jahren ist
Hakan Hunsfos in Dereköy, Türkei, eines gewaltsamen Todes
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