Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall
Das
türkische Klima scheint sie milde zu stimmen. Die Leibesertüchtigung steht auch
nicht mehr auf dem Programm, dem Himmel sei Dank. Sport ist Mord, nicht wahr?«
Grambrods
Blick wanderte liebevoll über das ausgedehnte, üppige Buffet und seine Lippen
schmatzten in Erwartung der nahenden Gaumenfreuden. Ein Zittern ließ seinen
Körper erbeben, so dass der Rührei-Berg vibrierte und die Würstchen durchs Fett
ruckelten. Sport ist Mord, dachte Schmalfuß. Wie kommt es, dass ihm diese
Redensart nicht das Antlitz des gestern ermordeten Hunsfos ins Gedächtnis ruft?
»Ich
habe keine Ahnung, was über meine Julia gekommen ist, aber ich muss die Feste
feiern wie sie fallen und die Speicher mit Korn füllen. Oder vielmehr mit
lecker Kohlenhydraten und tierischen Fetten. Irgendwann ändert sich die
Großwetterlage wieder, schneller manchmal, als man schlucken kann, und dann bin
ich erneut von den Versorgungslinien abgeschnitten. Folge mir, mein Freund, zur
Festtafel!«
Grambrod
bahnte sich energisch seinen Weg zum Speiseraum, und Schmalfuß folgte ihm im
Windschatten. Er hatte heute Morgen erwartet, dass weniger Gäste das Restaurant
bevölkern würden, dass sie sich, schockiert und verunsichert durch die
Ereignisse des vorigen Tages, auf ihren Zimmern verbarrikadierten und
abwarteten, ob und wann man sie zur Vernehmung bitten würde. Stattdessen waren
die Tische wie immer dicht besetzt, Stimmen schwirrten, doch im Gegensatz zu
Maximus Grambrod schienen alle Frühstückenden nur ein Thema zu kennen. Während
sie sich zur Fensterfront durchschlängelten, wo die Grambrods und Haverkorns
ihren üblichen Tisch ergattert hatten, drangen von allen Seiten Gesprächsfetzen
an Schmalfuß‘ Ohr.
»Als
ob man ihn geteert und gefedert…«
»Habe
ich nicht schon immer gesagt, dass Fußball ein brutaler Sport ist, Jürgen? Und
du wolltest unsere Tochter im Verein anmelden, gut, dass ich da auch noch ein
Wörtchen…«
»Stempeln
uns einfach allesamt zu Verbrechern, diese Türken! Ich will so schnell wie
möglich abreisen, die Gefängnisse hier …«
»Vier
Millionen haben die für Hunsfos bezahlt!«
»Isch
doch goar nix! Für oanen Stürmer, pfff! Dreißig Millionen, gell, fei, da horch
ich auf, vorher net.«
»Für
einen Norweger ist das viel, aber wie auch immer, jetzt ist die Kohle futsch!«
»Ob
der Mörder hier unter uns sitzt und Cornflakes löffelt? Unheimliche Vorstellung,
mich gruselt es richtig! Wie bei Agatha Christie, wo einer nach dem anderen in
einem Hotel oder auf einem Landsitz ermordet wird, und nur der Mörder bleibt
übrig.«
»Na,
bei dreihundert Gästen kommen wir hoffentlich erst ganz zum Schluss dran, zur
Adventszeit vielleicht.«
»Hast
du den Artikel von der Ratzki gelesen?«
»Ja,
Hammer, nicht? Starker Tobak, bin mal gespannt, wie der Verein reagiert. Ob der
Hunsfos das wirklich so gesagt hat?«
»Und
wie die Polizei reagiert, das möchte ich auch wissen.«
Grambrod
ließ seine Teller elegant über seinen Unterarm auf den Tisch gleiten und griff
noch im Hinsetzen nach Messer und Gabel. Huldvoll nickte Julia dem
Neuankömmling zu und tätschelte ihrem Mann ohne hinzusehen den Schokoladenarm. Kurz
flackerten ihre Lider, als sie spürte, wie sich ihre Finger mit etwas Klebrigem
überzogen, doch dann entschloss sie sich, ihre neugewonnene Haltung zu wahren.
Sanft bearbeitete sie den in Essbewegungen auf und nieder tanzenden Arm ihres
Mannes mit der Serviette, obwohl es sie juckte, ihm ihre frisch lackierten und
spitz gefeilten Fingernägel ins Fleisch zu bohren.
Keine
Schokoladenvorräte, dachte Schmalfuß, falls die Senatorin ihr Essverbots-Dekret
wieder aufleben lässt.
»Da
machen der Kleine und ich endlich mal eine richtig echte Fernreise zusammen und
dann lässt sich wer totschlagen!«, konstatierte Saskia Haverkorn trocken und
sah sich beifallheischend in der Runde um. »Nikolaus, sag ich noch gestern,
Nikolaus, du tust keinen Schritt mehr in die Nähe dieser Männer, du läufst
ihnen nicht mehr hinterher wie ein streunendes Hündchen auf der Suche nach
einem Herrn. Im Garten darf er noch bis zum Tennisplatz, aber keinen Schritt
weiter. Stimmt’s Nikolaus? Das haben wir so vereinbart?«
Als
ihr Sohn weiter auf seinen Tablet-PC starrte ohne durch ein sprachliches Zeichen
oder eine mimische Regung erkennen zu lassen, dass er noch lebte, wurde Saskia
Haverkorns Ton mit einem Male so scharf, als habe ein klirrender Nordwind ihre
Stimme vereist.
»Hast
du der Mami was zu sagen, Nikolaus?
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