Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall
Dann bin ich zum Hotel zurück und hab mir ein Tretboot geliehen. Der
Verleiher meinte noch, ich sollte schnell machen, nicht länger als eine Stunde,
es zöge ein Sturm auf. Ich bin zu der Stelle zurückgefahren, hab mich
umgesehen, ob jemand da ist, hab die Ratzki ausgebuddelt und auf die Arme
gehoben. Wenn unversehens doch noch jemand am Strand oder bei der Treppe an den
Klippen aufgetaucht wäre, hätte ich so getan, als ob wir Spaß machten und wäre
mit ihr durch die Wellen gehüpft. Ich weiß noch wie sich ein verliebter Mann
aufführt«, fügte er bitter hinzu.
»Es
kam aber niemand, und da haben Sie die Leiche auf den zweiten Sitz gepackt und
sind mit ihr aufs Meer hinaus?«
»Ja,
ich wollte noch weiter, aber das Wetter wurde immer schlechter, und ich musste mit
aller Kraft gegen die Wellen und die Strömung antreten. Ich hatte Angst, dass
ich es nicht mehr zurückschaffe, und da hab ich sie einfach kurzerhand über
Bord geschmissen. Ihr iPhone auch. Kurz überlegte ich, ob ich es behalten soll,
aber es war durch das Wasser ohnehin kaputt.«
»Das,
mein lieber Freund, sollten Sie dem Staatsanwalt nicht kundtun. Er könnte eine
unterbewusste Kaltblütigkeit wittern.«
Grambrod
nickte und lächelte Schmalfuß dankbar an.
»Es
war ein Unfall, nicht, Herbert? Du denkst auch, dass es ein Unfall war? Ich
will nicht in ein türkisches Gefängnis!«
Aufmunternd
tätschelte Schmalfuß die tränenfeuchte Hand von Maximus Grambrod.
»Keine
Sorge, Sie werden den Löwen nicht zum Fraß vorgeworfen. Sie werden ein, zwei
Nächte hier verbringen müssen, aber es sollte kein Problem sein, dass ihr Fall
in Deutschland verhandelt wird. Was meinen Sie, Herr Bülbül?«
Kadir
stand auf und zuckte die Achseln.
»Ich
denke auch. Wir werden es so drehen, dass Refik Dalga sich wieder einmal als
großer Mordaufklärer in Pose werfen kann. Dann ist er butterweich. Sie sollten
trotzdem zusehen, dass Sie sich einen guten Anwalt besorgen.«
»Ja«,
nickte Grambrod eifrig. »Das macht meine Julia, die kennt Gott und die Welt.
Die kümmert sich um mich. Ganz bestimmt. Puuuh, nach all dem Reden fällt mich
nun aber doch ein Hüngerchen an. Wann ist hier denn Essensausgabe?«
Beauty
and the Beast, dachte Kadir und bedeutete Schmalfuß ihm zu folgen. Reloaded!
An
der Zellentür fiel ihm etwas ein.
»Herr
Grambrod, sind Sie bereit zu beschwören, was Eva Ratzki Ihnen über Madlen
Erdmann erzählt hat?«
»Aber
klar, jedes Wort!«
»Und
Sie sind sich sicher, dass die Ratzki genau wusste, wer der Liebhaber von Frau
Erdmann war, derjenige, mit dem sie sich die Stalker-Posse ausgedacht hat?«
»Aber
das hab ich Herrn Schmalfuß doch schon gesagt!«
»Ich
weiß. Und der hat es wiederum mir gesagt. Ich will nur sichergehen, dass Ihr
Gedächtnis Sie nicht trügt und vor allem: Auch in Zukunft nicht trügen wird,
wenn Sie Ihre Aussage zu Protokoll geben, und falls es zu einer Verhaftung von
Madlen Erdmann kommen sollte.«
»Die
Ratzki wusste genau, wovon sie sprach, sie hatte es doch aus erster Hand! Von
Madlen Erdmanns Liebhaber, von Hakan Hunsfos höchstpersönlich. Könnten Sie mir nun
was zu essen besorgen? Schnell? Das Hüngerchen wächst und gedeiht mit jeder
Sekunde…«
Kapitel 13
- Elfmeter in den Schlussminuten -
Zwischen
Pinien schlängelte sich der alte Schafpfad hoch über der Küste. Hier war der
richtige Ort, so hatte Seda ihm damals im letzten Sommer erklärt, um einmal
tief durchzuatmen und das Leben für den Augenblick still stehen zu lassen. Heiß
war es da gewesen, unerträglich heiß, doch heute bauschten sich wattige Kumuluswolken
über dem Meer und ein sanfter Wind strich zwischen den Bäumen hindurch. Es ist
einfacher, dachte Schmalfuß, nicht hinter einer jungen Frau herzurennen, die
über den Pfad jagte, als kriegte sie es bezahlt. Bir keci tirmaniyor ,
übersetzte Schmalfuß voll Stolz. Eine Ziege klettert, aber ein alter Mann tut
das nicht mehr.
Gemächlich
schritt Schmalfuß weiter, die Hände auf dem Rücken, und sich wahlweise seinen
Gedanken und der Aussicht auf das Meer überlassend. Die Pinien rochen im Sommer
anders, fand er, kraftvoller, harziger.
Nach
einer weiteren halben Stunde Fußmarsch erreichte Schmalfuß den halb verfallenen
steinernen Wehrturm, der in alter Zeit die Küstenorte Dereköy im Westen und
Gümüsdere im Osten bewacht hatte. Schmalfuß zog den Kopf ein und trat durch den
niedrigen Eingang ins Innere des Turms. Es roch nach schimmeligem Holz und
nassem Stein und etwas
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