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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Krankenwagen geladen und zum Leichenschauhaus gebracht wurde, die Leute von der Spurensicherung die Gegend nach Indizien durchkämmten und Devin und Oscar in den Häusern mit Blick auf den Park nach jemandem suchten, der etwas mitbekommen hatte. Es war nicht so, dass niemand etwas gehört hatte, nur schrieen hier jede Nacht irgendwelche Frauen, das war schon fast so wie mit der Diebstahlsirene bei Autos: Man hörte sie so oft, dass keiner mehr darauf achtete.
Aufgrund der Textilfasern, die Oscar zwischen Karas Zähnen bemerkte, und Devins Entdeckung, dass sich in den unter Karas Händen und Füssen in den gefrorenen Boden gebohrten Nagellöchern kein Blut befand, wurde angenommen, dass sie an einem anderen Ort umgebracht worden war. Zuerst hatte ihr der Mörder ein Taschentuch oder einen Hemdfetzen in den Mund gestopft, dann hatte er mit einem Stilett oder einem sehr scharfen Eispickel unten am Hals einen Schnitt gesetzt, damit der Kehlkopf keine Geräusche mehr hervorbringen konnte. Die Todesursache konnte man sich aussuchen: Entweder starb sie an einem Schocktrauma, einem Herzinfarkt, oder sie erstickte langsam an ihrem eigenen Blut. Aus welchem Grund auch immer hatte der Mörder die Leiche dann zum Meeting House Hill gebracht und sie auf dem gefrorenen Erdboden gekreuzigt.
„Ist bestimmt ein reizendes Kind, dieser Typ“, sagte Devin. „Muss wahrscheinlich einfach nur mal richtig in den Arm genommen werden“, fügte Oscar hinzu. „Dann ist er wieder in Ordnung.“ „Es geht doch nichts über so ein richtiges Schwein“, sagte Devin. „Da hast du verdammt recht!“ brummte Oscar.
Seit ich die Leiche gesehen hatte, hatte ich nicht viel gesprochen. Anders als Oscar und Devin bin ich nicht auf gewaltsame Tode spezialisiert. Ich hab schon einiges gesehen, aber nichts davon war auch nur ansatzweise mit dem vergleichbar, was die beiden schon erlebt hatten.
„Ich komm nicht klar damit“, stöhnte ich.
„Doch“, widersprach Devin, „kommst du wohl.“
„Trink noch einen!“ schlug Oscar vor. Er nickte in die Richtung von Gerry Glynn. Seit er kein Bulle mehr war, führte er den Black Emerald, und obwohl Gerry normalerweise um ein Uhr schloss, machte er für seine ehemaligen Kollegen gerne eine Ausnahme. Unsere Getränke standen bereits vor uns, bevor Oscar zu Ende genickt hatte, und ehe wir merkten, dass Gerry sie dort hingestellt hatte, war er
schon wieder am anderen Ende der Theke. Der Inbegriff eines guten Wirtes.
„Gekreuzigt“, sagte ich zum zwanzigsten Mal, während mir Devin ein Bier in die Hand drückte.
„Ich denke, in dem Punkt sind wir uns alle einig, Patrick.“ „Devin“, begann ich wieder und versuchte, ihn anzusehen, doch konnte ich nicht mehr klar gucken, „das Mädchen war noch keine zweiundzwanzig. Ich kannte sie, seit sie zwei Jahre alt war.“ Devin sah mich mit leerem Blick an. Ich schaute zu Oscar hinüber. Er kaute auf einer halb gerauchten, erloschenen Zigarre herum und blickte mich an, als sei ich ein Möbelstück, für das er noch keinen Platz gefunden hatte.
„Scheiße!“ stieß ich hervor.
„Patrick“, rief Devin. „Patrick! Hörst du zu?“
Ich wandte mich zu ihm um. Einen Moment lang verschwamm sein Gesicht nicht vor meinen Augen. „Was?“
„Sie war zweiundzwanzig. Ja. So jung. Aber wenn sie fünfzehn oder vierzig gewesen wäre, hätte das auch nichts geändert. Tot ist tot, und Mord ist Mord. Mach’s nicht noch schlimmer, nur weil sie noch jung war, Patrick! Sie wurde umgebracht. Auf grausamste Art. Keine Diskussion. Aber…“ Desorientiert lehnte er sich an die Theke und kniff ein Auge zu. „Kollege! Wie geht’s weiter nach >aber„Schwarz oder weiß“, ergänzte Devin.
„… schwarz oder weiß“, wiederholte Oscar und blickte Devin böse an, „sie wurde trotzdem umgebracht, Kenzie. Auf ganz schlimme Art.“
„Hast du schon mal so etwas Schlimmes gesehen?“ fragte ich. Er kicherte. „Noch viel Schlimmeres, Kenzie!“
Ich wandte mich an Devin. „Und du?“
„Scheiße, ja.“ Er nahm einen Schluck. „Die Welt ist brutal, Patrick. Den Menschen macht es Spaß zu töten. Es…“
„… verleiht ihnen Macht“, fuhr Oscar fort.
„Genau“, bestätigte Devin. „Irgend was daran verleiht dir so ein richtiges Scheiß-Hochgefühl. Eine unglaubliche Macht!“ Er zuckte mit den Achseln. „Aber warum erzählen wir dir das? Du weißt das doch

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