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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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alles!“
„Wie bitte?“
Oscar legte mir seine Hand von der Größe eines Boxhandschuhs auf die Schulter. „Komm, Kenzie, jeder weiß, dass du letztes Jahr Marion Socia erledigt hast. Außerdem wissen wir, dass du an der Sache mit den Rotznasen in der Siedlung beim Melnea Cass Boulevard beteiligt warst.“
„Was?“ rief ich. „Und ihr habt mich nicht festgesetzt?“
„Patrick, Patrick, Patrick“, lallte Devin, „wenn’s nach uns ginge, bekämst du eine Medaille für Socia. Scheiß auf ihn, wenn’s nach mir geht. Aber“, fügte er hinzu und kniff dabei wieder ein Auge zu, „du kannst mir nicht erzählen, dass sich ein Teil von dir nicht wirklich toll gefühlt hat, als du ihm eine Kugel durch den Kopf gepustet hast und das Licht in seinen Augen ausging.“
„Kein Kommentar“, antwortete ich.
„Kenzie“, mischte sich Oscar ein, „du weißt, dass er recht hat. Er ist blau, aber er hat recht. Du hast die Pistole auf diesen Widerling Socia gerichtet, ihm in die Augen geguckt und ihn umgenietet.“ Mit Daumen und Zeigefinger bildete er eine Pistole und drückte sie mir an die Schläfe.
„Peng. Peng. Peng.“ Er nahm die Hand wieder herunter. „Kein Marion Socia mehr. Fühlt sich doch so an, als wäre man einen Tag lang Gott, oder?“
Wie ich mich fühlte, als ich unter einer Schnellstrasse Marion Socia tötete, während über uns die Lkws die Stahlstreben erbeben ließen, gehörte zu den heikelsten Fragen, mit denen ich mich je auseinanderzusetzen hatte, und ich hatte auf gar keinen Fall vor, die Sache mit zwei Detektiven der Mordkommission in einer Kneipe zu erörtern, während ich schon blitzeblau war. Vielleicht stimmt mit mir ja irgendwas nicht.
Devin lachte. „Jemand umbringen fühlt sich richtig gut an, Patrick. Mach dir nichts vor!“
Gerry Glynn gesellte sich zu uns. „Noch ‘ne Runde, Männer?“ Devin nickte. „Ja, los, Gerry!“
Gerry hielt auf halbem Weg inne.
„Hast du damals einen umgebracht?“
Gerry sah peinlich berührt aus, als hätte man ihm die Frage schon zu oft gestellt. „Hab noch nicht mal meine Pistole gezogen.“ „Nein“, bescheinigte Oscar.
Gerry zuckte mit den Achseln, sein freundlicher Blick passte überhaupt nicht zu dem Job, in dem er zwanzig Jahre lang gearbeitet hatte. Geistesabwesend streichelte er Pattons Bauch. „Das waren andere Zeiten damals. Weißt du noch, Dev?“
Devin nickte. „Andere Zeiten.“
Gerry zog den Hahn nach vorne, um Bier zu zapfen. „Wirklich völlig andere Zeiten.“
„Andere Zeiten“, wiederholte Devin.
Gerry brachte uns das Bier. „Würd’ euch gerne behilflich sein, Jungs.“
Ich sah Devin an. „Hat jemand Karas Mutter benachrichtigt?“ Er nickte. „Sie lag weggetreten in der Küche, aber wir haben sie geweckt und es ihr erzählt. Es ist jemand bei ihr.“
„Kenzie“, sagte Oscar, „wir kriegen diesen Micky Doog. Wenn es jemand anders war, eine Gang oder so, egal, wir kriegen sie. In ein paar Stunden, wenn alle auf sind, befragen wir noch mal jedes Haus; irgendeiner wird schon was gesehen haben; Und wir greifen uns diesen mickrigen Hurensohn und machen ihn fertig, wir nehmen ihn in die Mangel, bis er aufgibt. Davon wird sie nicht wieder lebendig, aber vielleicht wäre das in ihrem Sinn.“
„Ja, aber…“, versuchte ich einzuwenden.
Devin beugte sich vor. „Dieser Wichser, der das gemacht hat, der ist dran, Patrick. Glaub’s mir.“
Das wollte ich. Von ganzem Herzen.
Kurz bevor wir gingen, verschwanden Devin und Oscar aufs Klo, und ich blickte von der verschwommenen Theke hoch und bemerkte, dass Gerry und Patton mich anstarrten. In den vier Jahren, die Gerry den Hund besaß, hatte ich Patton nicht ein einziges Mal bellen hören, doch man brauchte ihm nur in die ruhigen, ausdruckslosen Augen zu sehen und war nie wieder versucht, sich mit ihm anzulegen. Für Gerry hatte der Blick dieses Hundes vielleicht vierzig verschiedene Bedeutungen, von inniger Liebe bis einfacher Zuneigung, doch allen anderen sagte er nur eins: Nimm dich in acht! Gerry kraulte Patton hinter den Ohren. „Kreuzigung.“
Ich nickte.
„Was meinst du, Patrick, wie oft hat’s das in dieser Stadt gegeben?“ Ich zuckte mit den Achseln, weil ich nicht mehr darauf
vertraute, dass meine Zunge die Wörter klar artikulieren konnte. „Wahrscheinlich nicht oft“, beantwortete Gerry seine eigene Frage und sah zu Patton herunter, der ihm die Hand leckte.
Dann kam Devin zurück.
In der Nacht träumte ich von Kara Rider.
Ich ging durch ein Feld mit Kohlköpfen,

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