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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Wichts durcheinanderschrien.
„Abgedreht!“ murmelte Angie.
„Das kannst du laut sagen.“
„Siehst du etwas, was alle gemeinsam haben?“
„Abgesehen davon, dass es Aufkleber sind?“
„Das versteht sich doch von selbst, Patrick.“
Ich schüttelte den Kopf. „Dann weiß ich es nicht.“
„Ich auch nicht.“
„Ich denke unter der Dusche darüber nach“, erwiderte ich. „Gute Idee“, gab Angie zurück, „du stinkst total nach Bier.“ Als ich unter der Dusche die Augen schloss, sah ich Kara auf dem Bürgersteig stehen, roch den Geruch von abgestandenem Bier aus der Kneipe hinter mir, während sie die Autos auf der Dorchester Avenue betrachtete und sagte, es sähe alles genauso beschissen aus wie vorher.
„Pass auf!“ hatte sie gesagt.
Ich stieg aus der Dusche und trocknete mich ab, sah ihren bleichen, nackten, gekreuzigten Körper, festgenagelt auf die schmutzige Erde.
Angie hatte recht. Es war nicht meine Schuld. Man kann Menschen nicht vor ihrem Schicksal bewahren. Schon gar nicht, wenn derjenige nicht mal darum bittet. Wir torkeln, taumeln und stolpern durchs Leben und sind dabei meistens allein. Ich war Kara nichts schuldig. Aber so wie sie darf niemand sterben, flüsterte eine Stimme. In der Küche rief ich meinen alten Freund Richie Colgan an, ein Journalist der Bostoner Trib. Er war wie immer im Stress, seine Stimme klang weit entfernt und gehetzt, er redete ohne Punkt und Komma: „AchhalloPat. Wasistlos?“
„Viel zu tun?“
„Oja.“
„Könntest du etwas für mich prüfen?“
„Schiesslos!“
„Kreuzigung als Todesursache. Wie oft in dieser Stadt?“ „In?“
„Was?“
„In wie vielen Jahren?“
„Sagen wir, in fünfundzwanzig.“
„Bibliothek.“
„Was?“
„ Bibliothek. Schonmalvongehört?“
„Ja.“
„Binicheine?“
„Wenn ich eine Information von einer Bibliothek bekomme, schenke ich dem Bibliothekar hinterher keine Kiste Bier.“
„Heineken.“
„Ja, klar.“
„Inordnung. Meldmichwieder.“ Er legte auf.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, lag der Zettel mit dem „HI!“ auf dem Couchtisch, die Aufkleber waren sauber zu zwei Häufchen gestapelt, und Angie guckte Fernsehen. Ich hatte mir eine Jeans und ein Baumwollhemd angezogen und trocknete mir gerade das Haar.
„Was guckst du da?“
„CNN“, antwortete sie, in die Zeitung auf dem Schoss vertieft. „Heute irgendwas Aufregendes in der Welt passiert?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Bei einem Erdbeben in Indien sind über neuntausend Menschen gestorben, und ein Typ in Kalifornien hat sein ganzes Büro über den Haufen geschossen. Hat sieben Leute mit ‘nem Maschinengewehr umgelegt.“
„Ein Postamt?“ fragte ich.
„ Abrechnungsfirma.“
„Das kommt davon, wenn Rechnungsprüfer Maschinengewehre in die Hand bekommen“, bemerkte ich.
„Sieht so aus.“
„Noch mehr frohe Botschaften für mich?“
„Irgendwann haben sie zwischendurch gemeldet, dass sich Liz Taylor wieder scheiden lässt.“
„Na, toll!“
„Also“, fing Angie an, „was haben wir vor?“
„Wir hängen uns wieder an Jason dran und gucken vielleicht bei Eric Gault vorbei, ob er uns was zu erzählen hat.“
„Und wir gehen weiterhin davon aus, dass weder Jack Rouse noch Kevin das Foto geschickt haben.“
„Ja.“
„Dann bleiben also noch wieviel Verdächtige?“ Sie erhob sich. „Wie viele Einwohner hat diese Stadt?“
„Keine Ahnung. Die Stadt selbst so um die sechshundert-tausend; mit Vororten und allem zirka vier Millionen.“
„Dann sind es irgendwo zwischen sechshunderttausend und vier Millionen Verdächtige“, antwortete ich, „minus zwei.“
„Danke, dass du es etwas einschränken konntest, Scooter. Du bist Spitze.“

11
    Die Räume des soziologischen, psychologischen und kriminologischen Instituts von Bryce befanden sich in der ersten und zweiten Etage von Mclrwin Hall, darunter auch das von Eric Gault. Im Erdgeschoss waren die Seminarräume, und in einem von ihnen hielt sich momentan Jason Warren auf. Glaubte man dem Vorlesungsverzeichnis von Bryce, so nahm er dort an dem Seminar „Die Hölle als soziologisches Konzept“ teil und untersuchte die „sozialen und politischen Motive hinter dem patriarchalischen Konstrukt einer Bestrafungsinstanz von den Sumerern über die Akkadier bis zum christlichen Riecht in Amerika.“ Wir hatten alle Lehrer von Jason überprüft und dabei nur festgestellt, dass Ingrid Uver-Kett vor kurzer Zeit aus einer Ortsgruppe der Frauenrechtsorganisation NOW ausgeschlossen worden war, weil sie

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