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Absender unbekannt

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Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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alles klarer und besser geworden?“ wollte sie wissen. „Nein“, erwiderte ich und zog sie an mich. „Kein bisschen.“

12
    Eine weitere Woche lang folgten wir Jason auf dem Campus und durch die Stadt, die Treppen hinauf zu Türen von Klassenräumen und Schlafzimmern, brachten ihn abends ins Bett und standen am nächsten Morgen mit ihm auf. Es war nicht gerade spannend. Sicher, Jason führte ein ziemlich bewegtes Leben, aber wenn man das Muster einmal erkannt hatte – Aufstehen, Essen, Unterricht, Sex, Lernen, Essen, Trinken, Sex, Schlafen – wurde es ziemlich schnell langweilig. Ich bin sicher, wäre ich beauftragt worden, den Marquis de Sade in seiner Blütezeit zu beschatten, wäre es auch sehr schnell öde geworden, wenn er zum dritten oder vierten Mal aus dem Schädel eines Kindes trank oder einen flotten Fünfer arrangierte.
Angie hatte recht gehabt: Das Leben von Jason und seinen Partnerinnen hatte etwas Einsames und Trauriges. Sie schaukelten durch ihr Leben wie Plastikenten in der Badewanne, fielen gelegentlich um und warteten so lange, bis sie wieder jemand aufrichtete, dann schaukelten sie weiter wie zuvor. Es gab keine Auseinandersetzungen, aber auch keine echte Leidenschaft. Es ging so ein Gefühl von der ganzen Gruppe aus, eine gewisse hilflose Unverbindlichkeit, eine leichte Selbstironie, eine Distanz zum eigenen Leben. Und es schlich ihm niemand hinterher. Da waren wir uns sicher. In den zehn Tagen hatten wir niemanden gesehen. Und wir hatten gut aufgepasst. Am elften Tag brach Jason aus seinem Trott aus.
Ich hatte keine Informationen über den Mord an Kara Rider erhalten, da Devin und Oscar nicht zurückriefen; der Zeitung entnahm ich lediglich, dass die Ermittlungen in einer Sackgasse steckten. Das Beschatten von Jason lenkte mich anfangs ab, doch inzwischen war ich so gelangweilt, dass ich zu grübeln begann, aber auch das brachte mich nicht weiter. Kara war tot. Ich hätte es nicht verhindern können. Ihr Mörder war unbekannt und noch auf freiem Fuß. Richie Colgan hatte sich noch nicht wieder bei mir gemeldet, er hatte lediglich eine Nachricht hinterlassen, dass er am Ball bleibe. Hätte ich die Zeit gehabt, hätte ich mich selbst drum gekümmert, aber ich musste ja Jason und seine Horde hilfloser Groupies beobachten, die einem herrlichen, leuchtenden Indian summer den Rücken kehrten, um die meiste Zeit schwarz gekleidet oder nackt in engen, verrauchten Räumen zu verbringen.
„Es tut sich was!“ meldete Angie. Wir verließen die Gasse, in der wir gestanden hatten, und folgten Jason durch Brookline Village. Er schaute sich in einer Buchhandlung um, kaufte bei Egghead Software eine Packung mit 3,5-Zoll-Disketten und schlenderte dann ins Coolidge-Corner-Kino.
„Mal was Neues“, sagte Angie.
Seit zehn Tagen war Jason nicht wesentlich von seinem Tagesablauf abgewichen. Jetzt ging er ins Kino. Alleine.
Ich blickte zur Anzeigetafel hoch und dachte, dass ich wohl so oder so mit ihm hineingehen musste. Hoffentlich war es kein Film von Bergman. Oder, noch schlimmer, ein Film von Fassbinder. Das Coolidge Corner tendiert zu esoterischen Autorenfilmen und zu Klassikern, was in Zeiten stereotyper Hollywood-Produktionen eine tolle Sache ist. Dafür gibt es aber auch Wochen, in denen im Coolidge nichts anderes als Sozialdramen aus Finnland oder Kroatien zu sehen sind oder aus einem anderen frostigen Land mit Weltuntergangsstimmung, dessen blasse, ausgemergelte Bewohner nichts anderes zu tun haben, als den ganzen Tag herumzusitzen und über Kierkegaard, Nietzsche und ihr Elend zu philosophieren, anstatt sich vorzunehmen, an einen Ort mit mehr Licht und optimistischeren Menschen zu ziehen.
Heute jedoch wurde die ungekürzte Fassung von Coppolas Apocalypse Now gezeigt. Angie hasst den Film ebenso sehr, wie ich ihn liebe. Sie behauptet, wenn sie ihn sehe, fühle sie sich immer, als habe sie zuviel Valium genommen und säße in einem Sumpf fest. Sie blieb draußen, und ich ging hinein. In einem solchen Moment ist es von Vorteil, eine Kollegin zu haben, denn es ist sehr riskant, jemandem in ein Kino zu folgen, das nur zur Hälfte besetzt ist. Wenn die Zielperson mitten im Film beschließt zu gehen, kann man ihr kaum folgen, ohne sich verdächtig zu machen. Aber der Kollege kann sie ohne weiteres draußen übernehmen.
Das Kino war fast leer. Jason setzte sich weit vorne in die Mitte, ich saß zehn Reihen weiter hinten auf der linken Seite. Ein paar Reihen vor mir rechts befand sich ein Pärchen, und

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