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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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daneben machte ein ständig mit den Augen blinzelndes Mädchen mit einem roten Bandana im Haar Aufzeichnungen. Eine Filmstudentin.
Als Robert Duvall gerade am Strand eine Grillparty veranstaltete, kam ein Mann herein und setzte sich in die Reihe hinter Jason, ungefähr fünf Sessel links von ihm. Als die Kampfhubschrauber zur Musik von Wagner am frühen
Morgen das Dorf mit Geschützfeuer und Sprengstoff in Schutt und Asche legten, beleuchtete das Licht von der Leinwand das Gesicht des Mannes, so dass ich ihn betrachten konnte: glatte Wangen mit einem akkurat gepflegten Ziegenbärtchen, dunkles, gelocktes Haar und ein Stecker im Ohr.
Als Martin Sheen und Sam Bottoms in der Szene an der Do-LongBrücke durch einen belagerten Schützengraben krochen und nach ihrem Bataillonsführer suchten, setzte sich der Mann vier Sessel weiter nach links.
„He, Soldat“, rief Sheen einem verängstigten schwarzen Jungen im Mörserfeuer zu, während Leuchtbomben den Himmel erhellten. „Welcher Offizier hat hier das Kommando?“
„Nicht Sie?“ schrie der Junge zurück, und der Typ mit dem Ziegenbärtchen beugte sich vor, während Jason den Kopf in den Nacken legte.
Kurz sagte er etwas zu Jason, doch als Martin Sheen den Schützengraben verließ und zum Boot zurückkehrte, trat der Typ in den Gang und kam auf mich zu. Er war ungefähr von meiner Statur und Größe, um die Dreißig und sah gut aus. Er trug einen dunklen, sportlichen Mantel und ein weites grünes, ärmelloses Shirt, dazu verwaschene Jeans und Cowboy Stiefel. Als er meinen Blick bemerkte, blinzelte er und sah auf seine Füße hinunter, die ihn aus dem Kino trugen.
„Hier gibt’s keinen befehlshabenden Offizier“, erwiderte Sheen und kletterte ins Boot, während Jason aufstand und das Kino verließ. Ich wartete drei Minuten und erhob mich dann ebenfalls. Das Patrouillenboot trieb unerbittlich auf Kurtz’ Lager zu. Ich sah kurz auf der Toilette nach, um sicherzugehen, dass dort niemand war, dann ging ich nach draußen.
Auf der Harvard Street blinzelte ich wegen der plötzlichen Helligkeit und suchte dann alle Richtungen nach Angie, Jason oder dem Typ mit dem Ziegenbart ab. Nichts.
Ich ging die Beacon Street hoch, doch da war auch niemand. Angie und ich hatten vor langer Zeit beschlossen, dass derjenige ohne Auto nach Hause zurückkehrt, der bei einer Verfolgung abgehängt wird. So summte ich „O Sole mio“, ergatterte ein Taxi und fuhr damit zurück nach Hause.
Jason und der Typ mit dem Bart hatten sich zum Mittagessen im Sunset Grill auf der Brighton Avenue getroffen. Angie fotografierte sie von der anderen Straßenseite aus, und auf einem Bild waren die Hände beider Männer unter dem Tisch verschwunden. Mein erster Verdacht war ein Drogendeal.
Die beiden teilten sich die Rechnung, und als sie draußen auf der Brighton standen, streiften sich kurz ihre Hände, und beide lächelten scheu. So wie in dem Moment hatte ich Jason in den letzten Tagen nicht lächeln sehen. Normalerweise hatte er ein anzügliches, träges Grinsen im Gesicht, das vor Selbstbewusstsein strotzte. Doch jetzt lächelte er aufrichtig, fast schon schwärmerisch, als hätte er keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken, bevor es auf seinen Wangen erschien.
Angie hielt das Lächeln und die Berührung der Hände auf einem Foto fest. Da änderte sich mein Verdacht.
Der Typ mit dem Bart ging die Brighton Street hoch bis zum Union Square, und Jason lief zurück nach Bryce.
Abends breiteten Angie und ich die Fotos auf ihrem Küchentisch aus und versuchten zu entscheiden, was wir Diandra Warren sagen sollten.
Es handelte sich um einen der Punkte, wo meine Verantwortung gegenüber dem Klienten nicht klar definiert war. Ich hatte keinen Grund zur Annahme, dass Jasons offenbare Bisexualität etwas mit den Drohanrufen zu tun haben könnte, die Diandra erhalten hatte. Auf der anderen Seite bestand aber auch kein Anlass, ihr nichts von diesem Treffen zu sagen. Ich wusste jedoch nicht, ob Jason sich ihr gegenüber geoutet hatte, und wollte das nicht unbedingt selbst übernehmen, zudem er auf diesem einen Foto zum ersten Mal, seitdem wir ihn beschatteten, wirklich glücklich aussah.
„Okay“, begann Angie, „ich glaub, ich hab’s.“
Sie reichte mir das Bild von Jason und seinem Freund, auf dem beide aßen und sich nicht ins Gesicht sahen, sondern sich aufs Essen konzentrierten.
„Er hat sich mit ihm getroffen und mit ihm zu Mittag gegessen. Das ist alles“, legte Angie mir dar. „Wir zeigen Diandra dieses

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