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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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brauchen.“
„Vielleicht sind die Leute, von denen du sprichst, da anderer Meinung.“
„Sind sie bestimmt.“ Er lachte breit und beugte sich vor, als wolle er mir ein Geheimnis verraten. „Aber wen interessiert das?“ „Alec, ich muss nur wissen, warum…“
„Du bist ein Mann, der Einfluss haben könnte, Patrick. An dich könnte man sich noch lange nach deinem Tod erinnern. Stell dir vor, was das für eine Leistung wäre, in dieser Wegwerfkultur, in der wir heute leben! Stell dir das vor!“
„Und wenn ich gar nicht das Bedürfnis verspüre, ein Mann mit Einfluss zu sein?“
Seine Augen verschwanden im gleißenden Neonlicht.
„Vielleicht liegt die Entscheidung nicht bei dir. Vielleicht wirst du zu einem gemacht, ob es dir gefällt oder nicht.“ Er zuckte mit den Achseln.
„Und wer macht das?“
Er grinste: „ Von wem wird das gemacht.“
„Na gut: von wem?“ korrigierte ich mich.
„Vom Vater“, erwiderte er, „vom Sohn und dem Heiligen Geist.“ „Na, klar.“
„Bist du ein Mann mit Einfluss, Alec?“ schaltete sich Dolquist ein. Wir drehten uns beide um und sahen ihn an.
„Bist du das?“ hakte er nach.
Alec Hardiman wandte den Kopf langsam wieder mir zu, die Brille rutschte ihm halb die Nase herunter. Die Pupillen hinter den Gläsern hatten die milchiggrüne Farbe seichter Karibikküsten. „Entschuldige Dr. Dolquists Unterbrechung, Patrick. Er ist in letzter Zeit ein bisschen nervös wegen seiner Frau.“
„Meine Frau“, wiederholte Dolquist.
„Dr. Dolquists Frau Judith“, erklärte Hardiman, „hat ihn wegen eines anderen Mannes verlassen. Wusstest du das, Patrick?“
Dolquist zupfte an einem Flusen auf seiner Hose und betrachtete angestrengt seine Schuhe.
„Aber dann kam sie zurück, und er hat sie wieder aufgenommen. Es gab bestimmt Tränen, Bitten um Vergebung, die eine oder andere abfällige Äußerung von Seiten des Doktors. Darüber kann man nur spekulieren. Aber das ist schon drei Jahre her, stimmt’s, Doktor?“ Dolquist blickte Hardiman mit klarem Blick an, doch wurde sein Atem etwas flacher, und mit der rechten Hand zupfte er immer noch geistesabwesend am Hosenbein herum.
„Ich weiß aus verlässlicher Quelle“, begann Hardiman erneut, „dass Dr. Dolquists Königin Judith am zweiten und vierten Mittwoch jedes Monats im Red Roof Inn an der Route One in Saugus zwei ehemaligen Häftlingen dieser Anstalt gestattet, jede ihrer Körperöffnungen zu penetrieren. Ich bin gespannt, was Dr. Dolquist davon hält.“ „Es reicht, Hardiman!“ mahnte Lief.
Dolquist blickte auf irgendeinen Punkt neben Hardiman und sprach mit klarer Stimme, doch sein Nacken zeigte einen knallroten Fleck. „Alec, deine Wahnvorstellungen kannst du ein andermal zum besten geben. Heute…“
„Das sind keine Wahnvorstellungen.“
„… ist Mr. Kenzie auf deinen Wunsch hier und…“
„Jeden zweiten und vierten Mittwoch“, sagte Hardiman, „zwischen zwei und vier Uhr im Red Roof Inn. Raum zweihundersiebzehn.“ Dolquists Stimme wankte nur einen Augenblick, es war nur eine nicht ganz natürliche Pause oder ein Atemholen, doch Hardiman und ich bemerkten es, und Hardiman grinste mich von der Seite an. Dolquist sagte: „Bei dem Treffen heute geht es um…“
Hardiman winkte ab und wandte seine Aufmerksamkeit wieder mir zu. In der oberen Hälfte seiner Brillengläser sah ich mein Spiegelbild in dem eisigen Neonlicht; darunter schwammen seine grünen Pupillen. Wieder beugte er sich vor, und ich widerstand dem Drang, ihm auszuweichen, als ich plötzlich seine Hitze verspürte, den muffigen, fleischigen Gestank einer verdorbenen Seele riechen konnte. „Alec“, fragte ich ihn, „was kannst du mir über den Tod von Kara Rider, Peter Stimovich, Jason Warren und Pamela Stokes erzählen?“
Er seufzte. „Als ich klein war, wurde ich einmal von einem Schwärm Hornissen angegriffen. Ich ging gerade an einem See entlang, ich weiß nicht, wo sie herkamen, aber plötzlich schwirrten sie um mich herum wie eine Erscheinung, plötzlich stand ich in einer riesigen schwarzgelben Wolke. Ich konnte gerade noch meine Eltern und ein paar Nachbarn erkennen, die durch den Sand auf mich zugelaufen kamen, ich wollte ihnen sagen, es sei alles in Ordnung. Es war okay. Aber dann fingen die Hornissen an zu stechen. Tausende von Stacheln bohrten sich in mein Fleisch und tranken mein Blut, die Schmerzen waren unerträglich,
es war orgiastisch.“ Während er mich ansah, fiel ihm ein Schweißtropfen von der Stirn und landete auf

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