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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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gab ich den Zettel zurück.
„Er will, dass der Junge selbst dann noch Angst vor ihm hat, wenn er selbst schon längst tot ist. So ist Alec“, sagte Lief wieder. „Vielleicht haben Sie ihn noch nie gesehen, aber er hat ausdrücklich nach Ihnen verlangt. Vergessen Sie das nicht!“
Ich nickte.
Dolquist fragte mit zitternder Stimme: „Brauchst du mich noch?“ Lief schüttelte den Kopf. „Schreib mir einen Bericht und leg ihn mir morgen auf den Schreibtisch, das müsste reichen, Ron.“ Dolquist blieb vor dem Auto stehen und schüttelte mir die Hand. „Schön, Sie kennengelernt zu haben, Mr. Kenzie. Ich hoffe, es klärt sich alles auf.“
„Ich ebenfalls.“
Er nickte, sah mich aber nicht an, dann nickte er kurz Lief zu und wandte sich zum Gehen.
Lief klopfte ihm auf den Rücken, die Geste wirkte etwas linkisch, so als habe er das noch nie getan. „Mach’s gut, Ron!“
Wir sahen den kleinen, muskulösen Mann ein Stück den Weg hinuntergehen, bevor er anhielt und sich ruckartig nach links wandte. Dann ging er über den Rasen zum Parkplatz.
„Er ist ein bisschen komisch“, meinte Lief, „aber ein guter Mensch.“ Die Gefängnismauer warf einen großen Schatten auf den Rasen, vor dem sich Dolquist in acht zu nehmen schien. Er lief den Scharten entlang über das sonnenbeschienene Gras und trat dabei vorsichtig auf, als habe er Angst, er könnte zu weit nach links geraten und im dunklen Gras versinken.
„Was meinen Sie, wo er hingeht?“
„Guckt nach seiner Frau.“ Lief spuckte auf den Kies.
„Sie glauben, dass es stimmt, was Hardiman gesagt hat?“ Er zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung. Aber er hatte genaue Angaben. Wenn es Ihre Frau wäre, und sie ist Ihnen schon mal untreu gewesen, würden Sie dann nicht nachgucken gehen?“ Als Dolquist am Ende des Rasens ankam und um den Schatten der Gefängnismauer herum auf den Parkplatz ging, war er nur noch eine kleine Figur. Dann entschwand er unserem Blick.
„Armes Schwein“, bemerkte ich.
Lief spuckte nochmals auf den Kies. „Hoffentlich sorgt Hardiman nicht dafür, dass das irgendwann mal über Sie gesagt wird.“ Plötzlich erhob sich vom Schatten der Wand eine steife Brise; fröstelnd zog ich die Schultern hoch und öffnete die Hintertür des Überwachungswagens.
Bolton grüsste mich: „Tolle Fragetechnik. Studiert?“
„Hab mein Bestes getan“, erwiderte ich.
„Einen Dreck haben Sie getan“, wies er mich zurück. „Sie haben da drinnen absolut null über die Morde erfahren. „
„Nun ja.“ Ich sah mich in dem Fahrzeug um. Erdham und Fields saßen an dem kleinen schwarzen Tisch. Von den sechs Monitoren über ihnen zeigten fünf die Unterredung mit Hardiman; der sechste übertrug live aus seiner Zelle. Dort saß Alec in der gleichen Position wie zuvor: Augen geschlossen, Kopf in den Nacken gelegt, Lippen geschürzt.
Lief neben mir betrachtete die anderen sechs Monitore auf der gegenüberliegenden Wand, auf denen Reihen von Gefangenen gezeigt wurden – böse Gesichter, die im Rhythmus von zwei Minuten von sechs neuen bösen Gesichtern abgelöst wurden. Ich schaute zu und sah, wie Erdhams Finger über eine Computertastatur flogen. Mir wurde klar, dass er die Akten aller Häftlinge durchsuchte. „Woher haben Sie die Genehmigung?“ fragte Lief.
Bolton sah ihn gelangweilt an. „Von einem Bundesrichter heute morgen um fünf.“ Er reichte Lief das Schriftstück. „Lesen Sie selbst!“
Ich schaute zu den Monitoren hoch, auf denen gerade sechs neue Verurteilte erschienen. Während sich Lief neben mir vorbeugte und langsam, den Zeigefinger unter dem jeweiligen Wort, die richterliche Verfügung las, betrachtete ich die Gesichter der sechs Gefangenen über mir, bis sie von sechs neuen ersetzt wurden. Zwei waren schwarz, zwei weiß, einer hatte so viele Tätowierungen im Gesicht, dass er auch gut als grün hätte durchgehen können, und der letzte sah wie ein junger Spanier aus, nur hatte er schlohweißes Haar. „Halten Sie mal an!“ befahl ich.
Erdham sah sich nach mir um. „Was?“
„Halten Sie hier mal an!“ wiederholte ich. „Geht das?“
Er nahm die Hände von der Tastatur. „Schon geschehen.“ Er blickte Bolton an. „Bisher haben wir noch keinen Treffer verzeichnet, Sir.“ „Was gilt als Treffer?“ wollte ich wissen.
Bolton erklärte: „Wir vergleichen die Akten aller Insassen mit den uns von der Gefängnisleitung vorliegenden Unterlagen, egal wie unbedeutend, um zu sehen, ob irgendwo eine Verbindung zu Alec Hardiman besteht. Wir

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