Absender unbekannt
Insasse Hardiman…“
„Nenn mich bitte Alec.“
„Alec. Ich verstehe dein Interesse nicht.“
Er legte den Kopf in den Nacken, so dass die Brille, die ihm die Nase heruntergerutscht war, an ihren Platz zurückfiel.
„Wasser?“
„Wie bitte?“
Mit dem Kopf wies er auf einen Plastikkrug und vier Plastikbecher auf dem Tisch links von ihm.
„Möchtest du Wasser?“ fragte er.
„Nein, danke sehr.“
„Süßigkeiten?“ Er lächelte nett.
„Was?“
„Magst du deine Arbeit?“
Ich warf Dolquist einen kurzen Blick zu. Der Beruf schien hinter diesen Mauern eine wahre Obsession zu sein.
„Kann meine Rechnungen bezahlen“, gab ich zurück.
„Das ist doch mehr für dich“, hakte Hardiman nach, „oder?“ Ich zuckte mit den Achseln.
„Kannst du dir vorstellen, noch mit fünfundfünfzig zu arbeiten?“ wollte er wissen.
„Ich weiß noch nicht einmal, ob ich mir vorstellen kann, mit fünfunddreißig zu arbeiten, Insasse Hardiman.“
„Alec.“
„Alec“, sagte ich.
Er nickte wie ein Priester im Beichtstuhl. „Was hast du denn sonst noch für Möglichkeiten?“
Ich seufzte. „Alec, wir sind doch nicht hier, um meine Perspektiven zu diskutieren.“
„Aber wir können es doch trotzdem tun, Patrick, oder?“ Er hob die Augenbrauen, und ein unschuldiger Ausdruck glättete das hagere Gesicht. „Ich finde dich interessant. Tu mir doch bitte den Gefallen!“ Ich sah Lief an, der mit seinen breiten Schultern zuckte. „Vielleicht gebe ich mal Unterricht“, antwortete ich.
„Wirklich?“ Er beugte sich vor.
„Warum nicht?“
„Wie wäre es denn, für eine große Agentur zu arbeiten?“ schlug er vor. „Ich hab gehört, die zahlen gut.“
„Manche ja.“
„Sie bieten Versorgungspakete an und so was, zahlen die Krankenversicherung.“
„Ja.“
„Hast du schon mal drüber nachgedacht, Patrick?“
Ich hasste es, wie er meinen Namen aussprach, wusste aber nicht, warum.
„Ich hab schon drüber nachgedacht.“
„Aber du ziehst deine Unabhängigkeit vor.“
„So ähnlich.“ Ich goss mir ein Glas Wasser ein. Als ich trank, fixierten Hardimans leuchtende Augen meine Lippen. „Alec“, versuchte ich es, „was kannst du uns…“
„Du kennst doch das Gleichnis vom angetrauten Geld.“
Ich nickte.
„Diejenigen, die etwas verstecken oder Angst haben, ihre Fähigkeiten auch zu benutzen, >sind weder heiß noch kalt< und werden von Gott ausgespuckt werden.“
„Ich kenne diese Geschichte, Alec.“
„Und?“ Er lehnte sich zurück und hob die festgeketteten Hände. „Ein Mensch, der seiner Berufung den Rücken kehrt, ist weder heiß noch kalt.“
„Was ist, wenn der Mensch nicht sicher ist, seine Berufung gefunden zu haben?“
Er zuckte mit den Achseln.
„Alec, könnten wir jetzt nicht mal…“
„Ich glaube, du bist mit der Gabe der Wut gesegnet, Patrick. Wirklich. Ich habe sie in dir gesehen.“
„Wann?“
„Warst du schon einmal verliebt?“ Er beugte sich vor.
„Was hat das denn…“
„Warst du?“
„Ja“, antwortete ich.
„Bist du’s jetzt?“ Er studierte mein Gesicht.
„Warum interessiert dich das, Alec?“
Er lehnte sich zurück und sah zur Decke hinauf. „Ich bin noch nie verliebt gewesen. Ich bin noch nie verliebt gewesen, ich habe noch nie die Hand einer Frau gehalten und bin mit ihr am Strand entlanggegangen und habe mit ihr über, na ja, über die ganz alltäglichen Dinge gesprochen , wer kochen soll, wer abends aufräumt, ob wir den Kundendienst für die Waschmaschine rufen sollen. Ich habe so etwas nie erlebt, und wenn ich alleine bin, spätnachts, dann muss ich manchmal deswegen weinen.“ Er kaute kurz auf der Unterlippe. „Aber ich schätze, wir träumen alle von einem anderen Leben. Während unserer Zeit hier auf der Erde möchten wir alle tausend andere Leben leben. Können wir aber nicht, oder?“
„Nein“, bestätigte ich, „können wir nicht.“
„Ich habe nach deinen Berufsplänen gefragt, Patrick, weil ich glaube, dass du ein Mann mit Einfluss bist. Verstehst du?“
„Nein.“
Er lächelte traurig. „Die meisten Männer und Frauen verbringen ihre Zeit auf diesem Planeten, ohne etwas zu bewirken. Leben in stiller Verzweiflung vor sich hin. Sie werden geboren, existieren eine Zeitlang mit all ihren Leidenschaften, ihrer Liebe, ihren Träumen und Schmerzen, dann sterben sie. Und kaum einer bekommt es mit. Patrick, es gibt Milliarden dieser Menschen, Billionen in der Geschichte, die ihr Leben ohne Einfluss gelebt haben, die genausogut gar nicht hätten geboren werden
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