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Absender unbekannt

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Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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weiß doch, dass wir seit mehr als zehn Jahren nichts mehr miteinander zu tun haben, Patrick.“
Ich nickte.
„Früher aber schon?“ erkundigte sich Bolton.
„Wir waren wie Brüder“, erwiderte Phil, und ich versuchte, in seiner Stimme Verbitterung oder Selbstmitleid zu entdecken, doch schien er es still und traurig hinzunehmen.
„Wie lange?“ fragte Bolton.
„Vom Kindergarten bis wir so um die Zwanzig waren. Oder?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ja, so ungefähr.“
Ich warf Angie einen Blick zu, doch die sah zu Boden.
Bolton sagte: „Hardiman behauptete, er würde Sie kennen, Mr. Kenzie.“
„Ich habe den Mann nie gesehen.“
„Oder Sie wissen es nicht mehr.“
„An das Gesicht würde ich mich erinnern“, entgegnete ich. „Wenn Sie es als Erwachsener sähen, sicher. Aber als Kind?“ Er reichte Phil zwei Fotos von Hardiman: eins von 1974 und ein aktuelles.
Phil betrachtete sie, und ich merkte, dass er Hardiman unbedingt erkennen wollte, damit das hier einen Sinn ergab, damit er eine Erklärung dafür hatte, warum dieser Mann ihn töten wollte. Endlich schloss er die Augen, atmete laut aus und schüttelte den Kopf. „Den Kerl hab ich noch nie gesehen.“
„Bestimmt nicht?“
„Ganz bestimmt.“ Er gab die Fotos zurück.
„Tja, das ist gar nicht gut“, sagte Bolton, „denn er ist jetzt ein Teil Ihres Lebens.“
Um acht Uhr wurde Phil von einem Beamten des FBI nach Hause gebracht; Angie, Devin, Oscar und ich gingen zu mir nach Hause, damit ich meine Sachen für die Nacht zusammenpacken konnte. Bolton wollte, dass Angie einsam und verletzlich wirkte, aber wir konnten ihn überzeugen, dass wir uns so normal wie möglich geben sollten, wenn Evandro oder sein Partner uns beobachtete. Und mit Devin und Oscar trieben wir uns mindestens einmal im Monat herum, obwohl wir dabei normalerweise nicht nüchtern blieben. Ich bestand darauf, bei Angie zu übernachten, egal ob Bolton sich deswegen anpisste oder nicht.
Tatsächlich gefiel ihm die Idee. „Ich dachte sowieso von Anfang an, sie beide hätten was miteinander, also wird Evandro das wohl auch annehmen.“
„Schweinische Gedanken!“ schimpfte Angie, worauf er mit den Schultern zuckte.
Bei mir zu Hause warteten die anderen in der Küche, während ich Klamotten aus dem Trockner zog und in eine Sporttasche stopfte. Vor meinem Fenster sah ich Lyle Dimmick Feierabend machen, er wischte sich die Farbe von den Händen und stellte den Pinsel in eine Dose Nitroverdünner.
„Und? Wie ist so euer Verhältnis zu den FBI-Leuten?“ fragte ich Devin.
„Wird täglich schlechter“, antwortete er. „Was glaubst du, warum wir heute nachmittag nicht bei Alec Hardiman dabeisein durften?“ „Also seid ihr dazu degradiert worden, auf uns aufzupassen?“ fragte Angie.
„Eigentlich“ erwiderte Oscar, „haben wir ja ausdrücklich drum gebeten. Bin ganz gespannt darauf, wie ihr beiden auf kleinstem Raum klarkommt.“
Er guckte Devin an, und beide lachten.
Devin fand ein Stofftier, das Mae in der Küche vergessen hatte, einen Frosch, und hob es auf. „Deins?“
„Maes.“
„Klar.“ Er hielt es sich vors Gesicht und schnitt Grimassen. „Vielleicht wollt ihr zwei dies Kerlchen hier behalten“, schlug er vor, „als kleinen Ersatz, wenn ihr voneinander genug habt.
„Wir haben schon zusammen gewohnt“, grollte Angie.
„Stimmt“, bestätigte Devin, „zwei Wochen lang. Aber da hattest du gerade deinen Mann verlassen, Angie, und damals seid ihr euch ganz schön aus dem Weg gegangen, wenn ich mich recht erinnere. Patrick ist praktisch ins Baseballstadion gezogen, und du warst nachts immer unterwegs, hast die Nightclubs am Kenmore Square abgeklappert. Jetzt müsst ihr zusammenbleiben, solange die Ermittlungen dauern. Das können Monate werden, sogar Jahre.“ Er wandte sich dem Stofffrosch zu: „Was hältst du davon?“ Ich blickte aus dem Fenster; Devin und Oscar kicherten, und Angie kochte vor Wut. Lyle kletterte vom Gerüst, Radio und Kühltasche hielt er seltsam verdreht in einer Hand, aus seiner Hosentasche lugte die Flasche Jack Daniels hervor.
Irgendwas störte mich an ihm. Ich hatte ihn noch nie nach fünf Uhr arbeiten sehen, und jetzt war es halb neun. Außerdem hatte er mir heute morgen erzählt, dass er Zahnschmerzen habe…
„Hast du keine Chips da?“ fragte Oscar.
Angie stand auf und ging zu den Schränken über dem Herd. „Bei Patrick darf man sich nie drauf verlassen, dass was Essbares im Hause ist.“ Sie machte die Tür des linken Schrankes auf

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