Absolut WILD - Die Mini-Tiger sind los
präsentierte wie ein eitler Pfau in einem roten Wollmantel.
Mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er in eine Zitrone gebissen, und seinem Klemmbrett unterm Arm kam Sylvester Spock auf uns zugeeilt.
»Keine gute Presse für Sie heute Morgen, Mrs Wild«, war seine Begrüßung.
Mama sah ihn an wie eine Katze, die kurz davor ist, einem ihre Krallen ins Handgelenk zu bohren, wenn man sie streichelt.
Mr Spock war sich der Gefahr, in der er schwebte, eindeutig nicht bewusst. » Animals UK ist entsetzt über diese Geschichte«, fuhr er fort. »Wenn Sie Tiere in zu kleinen Käfigen halten, schränken Sie sie in ihrem natürlichen Verhalten ein. Das ist gesetzeswidrig.«
Mama flüsterte etwas auf Portugiesisch, das nach einem bösen Fluch klang. In Wahrheit waren es die ersten zwei Zeilen von einem Lied, das sie mir und Tori vorgesungen hatte, als wir noch klein waren. Es handelte von einem Storch, wenn ich mich richtig erinnere.
Sylvester Spock rückte seinen Kragen zurecht. Nun fühlte er sich anscheinend doch ein bisschen unbehaglich. »Mrs Wild, ich will Ihnen doch nur klarmachen …«
» Danke , Mr Spock!«, rief Paula. »Über Ihre Anliegen unterhalten wir uns später . Jetzt wird erst mal gedreht ! Kalim hat unterschrieben , dass die Tiger gesund und arbeitsfähig sind, und die Papiere sind in Ordnung, wie Sie bereits gestern feststellen konnten. Alle auf Position , bitte! Sylvie? Sylvie!«
Sylvie Dickens wendete sich zögernd von den Kameras ab. Die Sicherheitsleute vertrieben die Journalisten ein weiteres Mal. Einer von ihnen packte einen Reporter am Kragen und zog ihn fort.
»Shirley Dickens geht mir allmählich auf die Nerven«, sagte Tori, während sie wieder mal an ihrem Zopf kaute.
»Allmählich?«, fragte ich mit dumpfer Stimme, aber mir fehlte die Energie, sie wegen Sylvies Namen zu verbessern.
» ACTION !«, rief Paula.
Sylvie stöckelte am Seeufer entlang und hielt die Leinen der Tiger mit zwei Fingern. Die Kamera fuhr auf der kleinen Eisenbahnschiene neben ihr her. Die Tiger folgten ihr mit eleganten Bewegungen. Den Blick hatten sie dabei auf Mama gerichtet, die ein Stück weiter mit dem Fleischeimer auf sie wartete.
» Super !«, rief Paula. »Sieht gut aus, Sylvie! Weiter so!«
»So ist es fein, Pommes!«, rief Mama. »Komm, Mayo! Gleich gibt’s ein Leckerli!«
Plötzlich bemerkte Pommes diese herrliche, randvoll mit Wasser gefüllte Badewanne vor sich und reckte den Kopf in die Höhe. Mayos Schnurrhaare zuckten.
Tori nahm ihren Zopf aus dem Mund. »Weißt du, was ich mir wünsche?«
Wie so oft wusste ich ganz genau, was sie sich wünschte. Weil ich es mir auch wünschte. Ich wünschte es mir so sehr, dass ich dachte, mir würden jeden Moment Funken aus den Ohren stieben.
»Und … losmachen!«, rief Paula.
Sylvie fummelte an den Griffen der Leinen herum und drückte und machte, aber die Leinen lösten sich nicht. Pommes blieb ruckartig stehen und nahm die Witterung des Seewassers auf. Mayo stieß mit ihm zusammen. Sylvie zerrte an den Leinen. Keine Reaktion.
Auf, ihr beiden!, dachte ich. Ihr möchtet es doch so gern!
»Losmachen«, brüllte Paula noch einmal. »Losmachen, Sylvie … LOSMACHEN !«
Die Tiger hechteten anmutig in den See. Die Leinen spannten sich. Sylvie Dickens schrie und fluchte und hämmerte wie verrückt auf den Löseknöpfen herum, im nächsten Moment stürzte sie auch schon kopfüber ins Wasser. Dabei klappten ihr Mantel und ihr Rock über ihren Oberkörper und die Welt bekam für einen kurzen Augenblick ihre Unterhose zu sehen, bevor es einen grandiosen Platscher gab, der das halbe Kamerateam durchnässte und mein Leben mit einem Mal wieder total lebenswert machte.
»Netter Schlüpfer«, bemerkte Tori. »Warum hat sie nicht einfach losgelassen?«
Die Fotografen, die vor ein paar Minuten erst verjagt worden waren, kamen überall hinter Büschen und Autos hervor.
»Keine Fotos!«, kreischte Sylvie, als sie wieder auftauchte. Ihre nassen Haare klebten ihr auf einer Seite am Kopf, was ziemlich unvorteilhaft aussah. »Ich verklage jeden, der diese Bilder veröffentlicht!«
Pommes und Mayo schwammen auf den See hinaus. Als Pommes die kleine Insel in der Mitte erreichte, hievte er seinen langen nassen Körper aus dem Wasser und schüttelte sich. Mayo kletterte nach ihm an Land. Sie leckten sich gegenseitig übers Fell, als wollten sie sagen: »Herrlich erfrischend, so ein Bad!« Dann ließen sie sich hechelnd neben ihren Leinen, die sie hinter sich hergezogen
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