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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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oder Familienangehörige ihres toten Schwagers, eins seiner sechs Geschwister oder einer von den zahllosen Cousins und Cousinen, Männer und Frauen, so alt wie Clare selbst, gekommen, um sie noch einmal an das zu erinnern, was sie von ihr wussten. Das Entfernen und Wiederauftauchen der Perücke war nicht genug; jetzt waren sie entschlossen, sie auf neue und schrecklichere Art zu quälen. Wie beim Einbruch im alten Haus in der Canigou Avenue reagierte ihr Herz, indem es vor Entsetzen und Empörung darüber, dass jemand einzudringen wagte, heftig klopfte.
    Das Licht wurde wieder verdunkelt und blieb dann so, halb so hell, wie es hätte sein sollen. Eine Person stand in der Tür zu Clares Zimmer. Wenn das mein Ende sein soll, lass es kommen, dachte sie und öffnete die Augen.

CLARE
    Ich kann sie nicht mehr ertragen, meine Vision, heraufbeschworen aus grauenhafter Imagination: Du wie ein mageres Schwein fixiert in diesem Titankäfig, dein Schicksal erwartend und mit Schnalzlauten um deinen Verstand ringend. Ich versuche wieder, was ich schon früher versucht habe. Ich biete dir den Becher sowie ein Lied, das ich selbst erfunden habe, und wünsche, dass du dich wieder zusammenfügst, meine wandernde Tochter. Im Garten mache ich ein Feuer aus dem welken Laub des Eukalyptusbaums vom Nachbarn und einem Haufen Zweige, die letzten Winter von den Ästen des Stinkbaums geschnitten wurden. Es knistert und raucht und wird zu einem sanften Feuer. Ich gieße Honig und Milch in die Flammen, ein Glas Wein und Wasser, das vom Berg herabgeflossen ist. Da Gerste fehlt, streue ich weißes Maismehl über das Feuer, indem ich die Körner zwischen meinen Handflächen zermahle. Diesmal mache ich es richtig. Ich bete zu dir, Laura, flehe dich an, zu erscheinen, verspreche, zu deinen Ehren ein schwarzes Schaf zu opfern. Ich steche mir in den Finger, um dich herbeizurufen. Vorher habe ich es nicht richtig gemacht: Das Blutvergießen war nur vorgestellt. Ich murmele und quieke. Ich tanze mit selbst erfundenen Tanzschritten, ein unsicherer Derwisch mit im Wind flatterndem Haar, ein Paradieskranich, ein altes Weib. Ich wehklage, wie ich schon früher hätte wehklagen sollen. Die Ibisse beobachten mich und schreien im Chor.
    Ich warte, bis das Feuer heruntergebrannt ist, ziehe die Kohlen auseinander, häufe Asche auf sie, sehe, dass die Fenster im Haus meines Nachbarn schwarz werden, als er, gelangweilt von meinem Spektakel, schließlich zu Bett geht. Ich habe Marie gesagt, ich wünsche nicht gestört zu werden, aber mein Nachbar hat mich bestimmt beobachtet, wie es die Art von männlichen Nachbarn ist, und hat sich ein Urteil gebildet. Er wird den anderen Nachbarn, den Granden vom Constantia Club, erzählen, dass Clare Wald Hexerei praktiziert. Sie werden das neue Buch lesen, um zu sehen, ob es darin Hinweise auf die Beschaffenheit meiner Teufelskunst gibt. Ich sage eine lokale Absatzsteigerung voraus. Es kümmert mich nicht mehr, ob man mich für verrückt hält – oder schlimmer, bei Sinnen und eine Teufelsjüngerin.
    In der Dunkelheit spuckt der Mond vom Berg herab und ich sitze vor meinem Aschehäufchen und fahre mit den Fingern durch die grauen Federblätter. Stille und ein leichter Wind, der die Asche bewegt, aber du bist nicht gekommen. Mythos ist nichts als Mythos. Vielleicht bist du schon zu lange tot. Vielleicht war das Rezept oder die Beschwörung fehlerhaft.
    Ich gehe ins Haus, schließe die Türen hinter mir und aktiviere die Alarmanlage, die Marie und mir bis zum Morgen ein Gefühl der Sicherheit verschafft. Mit der Enttäuschung über dein Nichterscheinen verbunden ist auch Tröstliches. Wenn du nicht auferstehst, gibt es noch eine Chance, dass du nicht tot bist. Aber wenn nicht tot, wo bist du dann, Laura? Wohin hast du dich gewendet? Es scheint unmöglich, dass du durch die Welt wanderst, ohne zu einem von uns Kontakt aufzunehmen – und wenn nicht zu deinem Vater und mir, dann wenigstens zu deinem Bruder. Du kannst nicht mehr in Gefangenschaft sein; das ist nur quälende Fantasie. Nein, du kannst nur tot sein und ich glaube nicht an das Übernatürliche. Es war töricht, so zu tun, als ob ich es täte.
    Ich dusche und lasse mich ins Bett gleiten, straffe meinen Rücken, drehe mich zur Seite und begrabe den Kopf halb im Kissen. Im Schlaf treibe ich durch Träume von dir, immer Träume davon, wie du mich verlässt, und wenn nicht das, dann von dir im Käfig, dein Körper preisgegeben, in Erwartung der Haiattacke, die Knochen, bei

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