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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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Ebbe von Palmgeiern blank gepickt, sinken in den Schlamm der Flussmündung und warten auf das nächste Jahrhundert, in dem sie entdeckt werden, die Moorfrau unseres Landes, Gladiatorenarena-Opfer, das selbst Opfer verursacht hat.
    Mein Schrei reißt mich aus dem Schlaf und ich sitze kerzengerade im Bett, die Decken wirbeln um mich, weil ich deinen Atem und die Kälte deiner Hand gespürt habe, und nun kommst du aus dem Schlaf heraus kreischend auf schwarzen, zerzausten Schwingen, rot vor Blut, auf mich zu und schleuderst mir einen quälenden Schrei mitten ins Gesicht. Du bohrst dich zwischen meine Zehen und infizierst mein Gedärm, ein Bandwurmfötus, der wütend wiedergeboren werden will.
    Schreiend wache ich auf und Marie kommt an meine Tür. Sie ist die Bewahrerin meiner Geheimnisse. Ich darf sie nie gehen lassen. »Es ist nichts«, sage ich, »nur ein böser Traum.«
    Aber es war kein Traum und du bist nicht allein gekommen.
    So schnell, wie du gekommen bist, verschwindest du wieder in die Schattenwelt und lässt nur Nora zurück, die auf Strömen weißen Rauschens herbeifliegt, dem Geräusch des vom Berg herabströmenden Windes oder der Luft dieses Hauses, die von seinen verborgenen Rotoren umgewälzt wird.
    Sie kommt mit dem leisen Murmeln zweier zusammengedrückter Kissen, aus denen durch ihr Gewicht Luft herausgepresst wird, mit dem scharfen Geräusch zweier Stoffstücke, die sich Kette gegen Schuss aneinanderreiben. Sie sitzt auf dem Stuhl gleich neben meiner Schlafzimmertür. Ich weiß sofort, dass es Nora ist, und ihre Gegenwart ist so real, dass mein traumatisiertes Gehirn meiner Hand befiehlt, sich nach dem Alarmknopf auszustrecken, bis ich Noras Stimme in meinem Kopf höre, die mich warnt, dass sie längst verschwunden sein wird, wenn die Wachmänner eintreffen, und dass ich dann wie eine verrückte Alte wirken werde und man mich fragen wird, ob ich gut geschlafen habe, ob ich mit meinem Arzt über Dinge, die ich gesehen haben will, gesprochen habe, ob ich immer alle meine Medikamente einnehme. Ich nehme keine Medikamente ein.
    »Dann solltest du es vielleicht tun«, sagt sie.
    Noras Stimme, der amüsierte Singsang einer jungen Frau, taucht mich in ein Säurebad. Ich kenne sie so gut wie die Stimme meiner Eltern und deine verlorene Stimme, Laura. Ich kann euch alle heraufbeschwören, dass ihr in meinem Kopf tönt, du und dein Bruder, dein Vater, meine Toten und meine Lebenden. Ich kann euch alle laut sprechen lassen auf meine eigene weibliche Art. Und jetzt erfahre ich, ich kann euch nur zu gut heraufbeschwören. Ich möchte euch zurückschicken. Ich habe einen Fehler begangen! Mehr Beweise brauche ich nicht. Ich akzeptiere, dass du tot bist, lass die Lebenden nun in Frieden.
    Meine Schwester, die Nora, die ich unklugerweise heraufbeschworen habe, hat einen Sinn für Humor, der ihr im Leben fehlte. Sie sitzt stundenlang in dieser Nacht an meiner Seite und kommentiert meine Werke, all die Bücher, die sie nie lesen konnte, und stellt Vermutungen über ihre Bedeutung an. Sie hat sich zu einer ewigen Leserin gewandelt, von der großen Leihbibliothek der Unterwelt profitierend. Zu Recht findet sie sich in jedem meiner Bücher wieder, in dieser oder jener Form, manchmal jung, öfter alt, männlich oder weiblich, menschlich oder animalisch. Einmal habe ich sie als Hurrikan auftreten lassen, einen Sturm von solch unvorhersehbarer Wildheit, dass er die Meteorologen überrumpelte und eine unvorbereitete amerikanische Küstenregion zerstörte. Ein andermal war sie eine lang anhaltende Dürreperiode und foppte die leidende Heldin mit Gewitterwolken, die sich nie in Regen entluden. Sie ist ein bewunderungswürdig vielseitiges Talent, flexibel für meine Zwecke.
    Sie trägt das Cocktailkleid aus gelbem Taft, in dem ich sie zuletzt gesehen habe, sein Rock ist kokett um ihre Knie drapiert, der Rücken gerade, die Lippen zu ihrem gewohnheitsmäßigen Schmollmund aufgeworfen. Ihre Haut bleibt straff, wo meine schlaff ist, ihre Augen sind hell und klar, wo meine sich seit Kurzem eingetrübt, umwölkt zeigen und unabhängig von meinem Willen umherwandern. Die einzige Veränderung, die ich jetzt erkenne, ist das Vorhandensein einer runden, dunklen Höhle. Es ist ein perfekter Kreis auf ihrer linken Gesichtshälfte: ein Loch, in das man einen Finger stecken könnte. Darum herum wütet ein rötlich schwarzes Feuer in völliger Stille über ihrer bleichen Hautoberfläche. Es ist das Loch, für das ich die Verantwortung

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