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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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habe ich geträumt, dass ich zugestimmt hatte, eine Rolle wieder einzustudieren, die ich als Mädchen in der Schulaufführung eines weihnachtlichen Stückes gespielt hatte, und für eine erkrankte Darstellerin als jugendliche Angebetete des Hauptdarstellers einzuspringen. Doch als der Abend der Aufführung näher kam, stellte ich fest, dass ich es versäumt hatte, das Skript zu studieren, und keine Zeile meiner Rolle kannte. Außerdem konnte ich mich nicht an die Streichungen erinnern, die, so schien mir, sich sowieso geändert haben mussten, weil es sich um eine neue Interpretation der Geschichte handelte. Was noch schwerer wog – in letzter Minute hatte ich zugestimmt, die unsympathische Hauptrolle zu übernehmen, die ich nie einstudiert hatte. Die Figur hatte den meisten Text und war fast ununterbrochen auf der Bühne. Als ich in Panik geriet wegen des Rollenstudiums und nicht einmal das Textbuch finden konnte, rief ein früherer Liebhaber an und fragte, ob er zur Aufführung kommen solle, und ich beteuerte, ja, er müsse kommen und er müsse seine Mutter mitbringen (eine einfache Frau mit einer Schwäche für viktorianische Rührseligkeit, sie war Wirtin in einem Pub im Londoner East End gewesen), weil es ihr bestimmt gefallen werde – eine ergreifende Produktion, mit größter Professionalität inszeniert, mit außergewöhnlichem Bühnenbild und wunderbaren Darstellern, eine echte Heraufbeschwörung der Weihnachtsfeststimmung des 19. Jahrhunderts. Als ich auflegte, war mir schlecht, da ich wusste, mein Versäumnis, meine Rolle zu lernen, war nicht im Entferntesten professionell.
    Ich weiß, was solche Träume bedeuten. Ich kann nur vermuten: Der Verlust des Mantels, durch List dazu gebracht zu werden, etwas zurückzulassen, was ich in Zukunft brauchen werde, was schützt und tröstet, handelt von der Angst, enteignet zu werden. Ich würde an derlei nicht glauben, wenn der Traum und Variationen davon nicht so hartnäckig in meinem unbewussten Leben auftauchten. Der Traum vom schlecht Vorbereitetsein ist offensichtlicher und stellt sich am häufigsten ein, wenn ich mir Sorgen um einen bevorstehenden öffentlichen Auftritt mache. Ich weiß, warum dieser Traum wiedergekehrt ist. Ich habe in etwas eingewilligt, was ich nie hätte tun sollen, die Auftritte beim Weinland-Literaturfest in fünf Monaten, die mich vor meine Leserschaft bringen werden, und die Vortragsreihe in Johannesburg, die Marks Preis dafür sind, dass ich seine Identität für das neue Buch geklaut habe. Das ist eine Entblößung, die ich kaum ertragen kann.
    Aber Noras Anwesenheit und dein eigenes kurzes Auftauchen, Laura, haben beide nicht die Beschaffenheit eines Traums. Wenn es kein echter Spuk ist, dann ist es eine Art Halluzination oder Sinnestäuschung, eine Projektion meines eigenen beunruhigten Geistes. Und wenn es das ist, dann sehe ich keinen Sinn darin, mich dagegen zu wehren, ebenso wenig wie gegen die Schlaflosigkeit (vielleicht werden die Halluzinationen sogar durch den Schlafentzug hervorgerufen).
    »Was möchtest du tun? Mich dazu bringen, meine Verfehlungen und mein Versagen einzugestehen, vermute ich«, sage ich nun zu Nora. »Mich an alles zu erinnern, womit ich dir geschadet habe.«
    »Ja, du sagst es«, antwortet Nora und ein süffisantes Lächeln kämpft sich durch ihr Schmollen, ein Lächeln und ein Schmollen, das wir gemeinsam haben. »Und schließlich hast du uns heraufbeschworen. Hinzu kommt, du bereust nicht in ausreichendem Maß, Clare. Du bist eine schreckliche Sünderin und dennoch gehst du nicht zur Kirche, du missachtest die Tradition, du tust nichts, um zu zeigen, dass du bedauerst oder bereust.«
    »Jeder Mensch hat seine eigene Art der Reue. Ich bereue im Privaten«, sage ich bestimmt. »Ich bereue auf eine Art, die selbst ihr, die Toten, vielleicht nicht sehen könnt.«
    »Und wenn ich, wie du offenbar in ebendiesem Moment denkst, nichts als irgendeine Halluzination deines eigenen Gehirns bin, würde das denn nicht bedeuten, dass deine Versuche zu bereuen fehlgeschlagen sind?« Nora schüttelt den Kopf und diese Augen, die so oft im Zorn blitzten, Augen, die so laut schrien und wüteten wie ihre Stimme, wenn sie mich als Kind zornig anbrüllte, Augen, die richteten und verdammten, autokratisch wie jeder beliebige Diktator, sehen mich nunmehr sanft an.
    Wir sitzen in der Mitte der Nacht schweigend noch eine Stunde zusammen, zwei Schwestern, so ähnlich, durch die Zeit getrennt. »Ist das der Preis, den ich zahlen

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