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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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übernehmen muss, die tödliche Öffnung und ewige Flamme, die unter einem Marmorblock brennt. Im letzten Moment ihres Lebens öffnete es sich so weit, dass es drei Viertel ihres Gesichts verschlang.
    »Jetzt habe ich nur von mir gesprochen. Aber wie geht es dir , liebe Schwester?«, sagt sie schließlich nach stundenlanger Exegese meiner Texte. »Nebenbei bemerkt war dein letztes Buch ein Triumph , wenn ich so sagen darf, aber was für eine Ansammlung von Obszönitäten. Mutter und Vater wussten wirklich nicht, was sie von der Sprache halten sollten.« Nach einer weiteren Viertelstunde solchen ärgerlichen Small Talks – nicht meine Vorstellung von einem anständigen Spuk – verstummt sie und kommt zu mir, mit stockenden Bewegungen, als wären ihre Knochen um Jahrhunderte älter als die meinen, beugt sich über mich und legt ihre Hand auf mein Herz. Ich spüre einen Druck wie von der kalten Taubheit der Anästhesie und dann dringt dieser Druck durch meine Haut und wickelt sich um mein klopfendes Herz, verlangsamt es zu einem weniger panischen Rhythmus. Ich wünschte sagen zu können, dass ihr Trick mich nicht erschreckt, er tut es aber doch. Die Hände zittern mir; ich wimmere wie ein Kätzchen und bitte sie, damit aufzuhören.
    Ich versuche, die Situation mit meiner gewöhnlichen logischen Sicht auf die Dinge zu betrachten. Es kommt mir in den Sinn, dass ich wirklich schlafen und eine neue Art von Traum erleben könnte, erwachsen aus der Schuld, die ich so lange mit mir herumgetragen habe. Das Problem mit dieser logischen Erklärung ist, dass meine üblichen Stressträume stets gänzlich anders geartet sind und keine physischen Auswirkungen haben.
    Vor einigen Wochen träumte ich, dass ich eine geschäftige europäische Stadt besuchte, halb Paris, halb London, und von einer Seite der Metropole zur anderen lief, zugleich auf der Flucht vor einer vagen Bedrohung und in Eile wegen eines Termins, dessen genaue Art mir nicht klar war, von dem ich aber wusste, dass ich ihn keinesfalls verpassen durfte. An der Kreuzung von zwei breiten Boulevards wurde ich von einer Fremdenführerin, einer kleinen, stotternden Frau mit einer braunen Pagenfrisur und einer Drahtgestellbrille, gezwungen, einen Umweg über ein unterirdisches Museum zu machen. Der Eingang dieses Museums glich einem roten Schlund, die Wände waren dunkelrot und die Stufen schwarz – insgesamt eine ziemlich einfallslose Darstellung der Hölle –, und es stiegen Dampfschwaden auf. Ich trug einen Wollmantel, den ich in meinem wachen Leben kürzlich gekauft hatte und den ich mich entschied am Eingang zurückzulassen, weil mir klar war, drinnen würde es dafür zu heiß sein. Ich nahm an, dass ich mich nur kurz dort aufhalten würde und dass ihm nichts passieren könnte. Als ich dann ins Museum hinabgestiegen war (dessen Exponate wenig Sinn ergaben – Dioramen von Lokalmatadoren, die von der Geschichte als Verräter und Grobiane umbewertet worden waren, ein Tableau von Slumräumungen, eine Sammlung Totenschädel von Mordopfern in Reliquienschreinen), kühlte sich die Luft um etliche Grad ab und ich begann zu frösteln. Während ich also feststellte, dass ich meinen Mantel vermisste, wurde mir gleichzeitig klar, dass ich, um meine Reise fortzusetzen, bis ans Ende des Museums gehen müsste, bis auf die andere Seite des Flusses, der die Stadt teilte. Es war nur erlaubt, vorwärts zu gehen. Unmöglich, umzukehren und meinen Mantel zu holen, und als mir das klar wurde, spürte ich, dass die Reiseführerin mich dazu gebracht hatte, genau das Ding zurückzulassen, das ich bei meinem Besuch am nötigsten brauchen würde. Es war verboten, zum Eingang zurückzukehren und jedes Mal, wenn ich es versuchte, stellte ich fest, dass das Museum seine Gänge hinter mir abgesperrt hatte, indem Wände und Tore und Schranken selbsttätig vor sie glitten. Der Mantel war verloren – ich hatte keine Ahnung, in welcher Straße der Museumseingang gewesen war, was bedeutete, dass ich ihn aller Wahrscheinlichkeit nach nie wiederbekommen würde. Dieser plötzliche Verlust erfüllte mich mit einem Entsetzen, das dem wahren Wert des Dings völlig unangemessen war – Mäntel und Kleider sind überdies keine Gegenstände, die mich im wachen Leben besonders beschäftigen. Ein Kleidungsstück ist ein Gebrauchsgegenstand und kann ersetzt werden, wenn es abgetragen ist oder eben verloren ging. Ich habe meiner Kleidung gegenüber nie eine sentimentale Anhänglichkeit empfunden.
    Vergangene Nacht

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