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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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Bett kauerte. Nora zischte ihm zu, er solle Hilfe rufen, doch als er nach dem Telefon greifen wollte, wurde ihr Körper von der aufgerissenen Tür zurückgeschleudert. Wir landeten auf dem Boden und prallten gegen das Fußteil des Bettes und eine Schmerzmeldung lief über Noras Schultern – ein Schmerz, den ich spürte, doch nur wie von fern, mehr Druck als Schmerz.
    Ein Mann kam durch die Tür und schloss sie hinter sich, doch das Schloss funktionierte nicht mehr und die Tür sprang wieder auf, Licht vom Korridor hereinlassend – wie das Licht von meinem eigenen Korridor, das in mein Schlafzimmer fiel. Der Mann hatte es nicht für nötig gehalten, eine Maske zu tragen. Wenn man von einer Person sagen konnte, dass sie rational aussah, dann von diesem Mann. Aber er hatte nicht das Gesicht des Mannes, den ich in den Wochen nach Noras Tod kennenlernte, des Mannes, den man anklagte und für schuldig befand und der die Anklagepunkte nie bestritt.
    Ich frage mich, Laura, wie du ausgesehen hast, wenn du getötet hast, ob dein Gesicht gefasst war, ob du genau wusstest, was du tatst, wie es mir bei diesem Mann der Fall zu sein schien, oder ob Wut und die Erregung des Augenblicks dich überwältigten. Ich stelle mir deinen Mund zusammengepresst vor: ein rationaler Mund, ein Mund in Übereinstimmung mit dem, was der übrige Körper tut. Und dann sehe ich ein anderes Du, eine wutentflammte Frau, nach Rache schreiend, eine Feuerzunge ausrollend.
    Am Mörder meiner Schwester war nichts Wildes oder Impulsives. Er kannte seine Aufgabe und führte sie aus, ohne einen Tropfen Schweiß zu vergießen oder seinen Händen ein Zittern zu gestatten. Kotgestank erfüllte das Zimmer, als der Mann den Schalldämpfer seines Gewehrs an Noras Gesicht hielt. Ich fühlte, wie sich etwas im Körper meiner Schwester löste und eine heiße Nässe an den Beinen herunterlief. Stephan hatte eine blitzschnelle Bewegung zum Fenster hin gemacht, und als ob beide durch Stricke verbunden wären, bewegte sich der Mann in die gleiche Richtung, sein Gewehr dreimal abfeuernd.
    Ich wollte mich nicht umdrehen und hinsehen, doch Noras Körper tat es. Ich wusste schon, wie Stephan Pretorius im Tod aussah. Der Kot- und Uringestank, der mir von Noras Schoß beißend in die Nase stieg, vermischte sich mit dem Geruch nach Schießpulver und Gewehröl, die Ausdünstungen einer primitiven Bestie, geschaffen vom höchsten der Tiere – einer Bestie, die keinen Platz in der Natur hat.
    Der Mann mit dem Gewehr wandte sich dann Nora zu. Als er anlegte, spürte ich, wie sich der Darm des Körpers, den ich besetzte, wieder löste, die warme Flüssigkeit weiter auf den Boden strömte, und obwohl ich flehen wollte, diesen Mann bitten wollte, meine Schwester zu verschonen, brachte ich es nicht zustande, dass Noras Mund sich bewegte, konnte ich keinen Laut hervorzwingen.
    Während ich beobachtete, wie sich der Finger des Mannes um den Abzug krümmte, wachte ich allein in meinem Schlafzimmer auf mit der Erinnerung an Noras zerstörtes Gesicht, die mir in den Augen brannte – ein schreiender Papst, der sich in Dunkelheit auflöst.
    Solche Erfahrungen können gemäß der Logik, nach der ich lebe, nur auf zweierlei Weise erklärt werden – einer Logik, die das Übernatürliche nicht zulässt, obwohl es übernatürliches Agieren war, meine simulierte Nekyia um das Feuer herum, das diese jüngsten Phänomene hervorgerufen zu haben scheint. Die Ursache ist entweder psychologischer Natur, was bedeutet, dass mein eigenes Gefühl, mich der Komplizenschaft an bösen Taten schuldig gemacht zu haben, so groß geworden ist, dass selbst mein wacher Geist wie von einem Traumzustand befallen ist. Oder die Ursache ist physischer Natur und in diesem Fall vielleicht die grausamere Variante: der Schwund meines geistigen Vermögens durch den Prozess selbstzerstörerischer Demenz, obwohl ich keine anderen psychologischen Abnormitäten – Gedächtnisprobleme oder verwirrte Zustände – feststellen kann und die Ärzte alle erklärt haben, ich sei im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte.
    Ich kann die Anziehungskraft des Übernatürlichen verstehen. Deine und Noras Besuche als Spuk zu erklären, als das Einbrechen einer Welt jenseits der physischen, wäre die tröstlichere Erklärung. Und in Ermangelung einer Alternative mag das diejenige sein, die ich zu glauben gezwungen bin.
    Da Sam mich nun in vorhersehbarer Zukunft in Ruhe lassen wird, lege ich das letzte deiner Notizbücher, Laura, beiseite, das

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