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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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lässt, die Nähte verborgen, die Machart mit glänzendem unterbewusstem Satin kaschiert. Wenn ich mir heute mein Verlangen nach Rodney vergegenwärtige, vermute ich, wenn er mich wirklich geküsst hätte, mich gegen die Rinde eines Stinkbaumes gedrückt, seine Zunge in meinen Mund geschoben hätte, wäre ich entsetzt gewesen.
    Zu spät weiß ich nun, dass diese Traumserie nichts mit Rodney zu tun hat oder mit seiner Frau oder ihrer Tochter, die ich so gut beaufsichtigt habe und derentwegen ich kein schlechtes Gewissen zu haben brauche. Diese Träume haben alle mit dir zu tun, Laura, der Wildtiertochter, die ich vernachlässigt und zu füttern und zu tränken versäumt habe, für die Verantwortung zu übernehmen, so wie du es gebraucht hättest, ich versäumt habe. Ich hätte nicht darauf warten dürfen, dass du um Hilfe bittest. Ich hätte wissen sollen, was du gebraucht hast, hätte deine Bedürfnisse voraussehen sollen und vorausahnen, was zu tun du dich gezwungen fühltest. Ich hätte wissen müssen, dass du nicht zu zähmen oder zu brechen warst. Wenn ich versucht hätte, dich aufzuhalten, hättest du es zugelassen?
    »Nein«, sagst du, als du heute Nacht in mein Bett kommst und dich um mich wickelst, meine Gliedmaßen mit deinen umfängst. »Du hättest mich nicht aufhalten können.«
    »Aber wenn ich anders gewesen wäre, wenn ich eine andere Art zu sein gekannt hätte, wenn ich mit beiden Händen hätte geben können, statt immer, immer , etwas zurückzuhalten, dann hättest du dir gewiss von mir helfen lassen!«
    »Man kann die Vergangenheit nicht ändern, alte Frau. Du musst akzeptieren, was du bist.«
    »Was bin ich?«, beschwöre ich dich, während du dich erhebst und zurückziehst. »Sag mir, was ich bin!«
    »Ein Monster«, sagst du und deine Stimme deckt Traurigkeit auf. »Ein Monster wie ich.«
    Weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll, kehre ich zu meinem Lesestoff von gestern zurück. Ich bemerke zum ersten Mal, dass alle zehn deiner Notizbücher nichts weiter als Schulhefte sind – genau dieselbe Art, die ich benutzt habe, um darin das erste halbe Dutzend meiner Romane zu verfassen. Ich war nämlich überzeugt davon, dass die Polizei, sollte das alte Haus in der Canigou Avenue jemals von einer Razzia betroffen sein, annehmen würde, der Inhalt dieser Hefte sei bloß das Werk eines Kindes und stelle keine Gefahr dar. Ich legte mir absichtlich eine jugendliche Handschrift zu, die stellenweise sogar nachlässig war. Aber deine Handschrift, Laura, ist immer exakt und, obwohl ungewöhnlich, unverwechselbar erwachsen. Man schaut deine Schrift an und meint, das sei die Handschrift einer Schriftstellerin, anders als meine.
    Ein paar Tage nach eurer ersten Begegnung bei der Zeitung hast du Ilse wieder getroffen und sie eingeladen, mit dir essen zu gehen, wobei du versucht hast, so zu klingen, als wäre es eine spontane Eingebung. Sie schlug ein kleines Gasthaus in der Church Street vor.
    Wenn du Bescheid wusstest über ihr Verhältnis mit deinem Vater, gabst du es nicht zu erkennen, sondern versuchtest stattdessen, die jugendliche Naive zu spielen, die Rat und Freundschaft bei einer Frau sucht, die welterfahrener ist – eine Rolle, die ich für dich nie ausgefüllt habe; wenn du mich jemals um Rat gefragt haben solltest, kann ich mich nicht daran erinnern. Du hast dich an die Männer in der Familie gehalten, an Bruder und Vater, selbst an deine Onkel, die Frauen aber hast du ignoriert – nicht nur mich, sondern genauso deine Tanten und Cousinen –, als gingst du davon aus, dass nur Männer Zugang zur Wahrheit hätten, dass Frauen in dieser Gesellschaft nur schmückendes Beiwerk wären, Ballast auf dem Weg, den du zu gehen gedachtest.
    Während des Essens regte sich Ilse die ganze Zeit über die repressiven neuen Gesetze auf, die dem Land aufgezwungen worden waren, und sprach hoffnungsvoll von der Rückkehr oppositioneller Persönlichkeiten aus dem Ausland, die gekommen waren, um mit Feuerjuwelen zu befreien. Besorgt, dass es Lauscher geben könnte, sahst du dich im Café um, überwachtest Reaktionen, Kommen und Gehen, während Ilse sprach, wobei ihr kleiner Körper so viel Zorn versprühte, dass man sich angegriffen fühlte, wenn man ihr bloß gegenübersaß.
    »Das ist ein recht sicherer Ort«, sagte sie, als sie deine Besorgnis bemerkte, »und der Besitzer ist gewissermaßen ein Sympathisant.«
    »Du solltest auf jeden Fall vorsichtig sein.«
    »Vorsichtige bewirken nichts. Wenn Leute wie wir –

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