Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
Vom Netzwerk:
hatten. Sie konnte nicht anders, als es mit der Erhabenheit und Monumentalität von Herbert Bakers Unionsgebäuden in Pretoria zu vergleichen, wo Angehörige der schwarzen Mittelschicht jetzt an den Wochenenden spielten, Teenager Tanzschritte übten, Erwachsene für Hochzeitsfotos posierten, sich in einem Gefilde mit grünen Rasenflächen und modellierten Bäumen und klassischen Aussichten tummelten. Es war möglich, monumental und einladend zu sein, Respekt zu fordern, ohne einzuschüchtern oder die Bürger auszugrenzen. In dieser Beziehung hatte man beim Verfassungsgericht grundlegend versagt. Hehre Ideen hatten die Praktikabilität wie die Schönheit verdrängt.
    Im Gerichtsgebäude herrschte symbolisches Chaos. Manche Bodenflächen waren braun gefliest und ein weißer Teppich mit einem unpassenden grauen und purpurroten organischen Muster bedeckte die am tiefsten gelegene Fläche. Die Wände bestanden entweder aus unverputzten roten Ziegeln, die vom abgerissenen Gefängnisblock stammten, oder aus weißem Putz mit grauen Betonpfeilern. Die Anwälte saßen an braunen Holztischen, die aussahen, als hätte sie eine Leihbibliothek entsorgt, während die Richter selbst ihren Sitz höher als die Anwälte, aber unter der öffentlichen Galerie hatten, hinter einer mit schwarz-weißem Kuhfell bespannten Bank – ein netter afrikanischer Einfall, dachte Clare, und das einzige originelle und künstlerisch integre Moment in dem ganzen Durcheinander. Es war sowohl zeitgenössisch als auch traditionell und hatte doch zu viel Glas und Stahl und zu viele einander störende Winkel und sinnlose Balkone und missgestaltete Oberflächen, um jemals zu einem Ganzen zu verschmelzen. Was Clare gefallen hatte, was sie in seiner Kühnheit sowohl beeindruckt als auch beunruhigt hatte, war, dass die Öffentlichkeit, die Zuschauer, räumlich über den Richtern positioniert waren. An diesem Arrangement war für sie etwas zu Populistisches, als dass sie sich ganz wohl dabei gefühlt hätte, doch die Idee, dass die Richter Diener des Volkes sein sollten, war theoretisch gut. Dass die Anwälte die niedrigste Position im Raum einnahmen, war ein noch erfreulicherer ironischer Einfall. Durch das lange, schräge Fenster hinter den Richtern war das Straßenleben der Stadt – Fußgänger und Autos – gerade noch zu sehen. Sirenen waren zu hören. Alles war durchlässig und transparent. Die oberste Gesetzesautorität des Landes war keine Kabinettsjustiz, kein Ort der Geheimhaltung oder der Privilegien, sondern offen für alle. Was Clare mehr alles andere beschäftigte, war jedoch, dass das Verfassungsgericht, das höchste Gericht in diesem verletzlichen neuen Land, in seinem Bemühen, zugänglich und transparent zu sein, zu leicht ignoriert oder – schlimmer – angegriffen werden konnte.
    Anders als einige seiner älteren Kollegen, Männer des alten Systems, die immer noch mit der Unlogik der Apartheid argumentierten, der Logik des unlogischen Privilegs, begriff Mark offenbar instinktiv den Ton des Gerichts, die beiläufige Formalität seines Diskurses, die kritische Befragung, die titanischen Frustrationen und die neckende gute Laune seiner Richter. Er beherrschte den Raum und agierte überzeugend, selbst wenn die Richter nicht zugunsten seiner Klienten entschieden. Es war nobel, das Recht auf Privatsphäre zu verteidigen, aber Clare fragte sich, ob ihr Juristensohn es nicht zu weit trieb, ob der biegsame Intellekt, der stets eine flexiblere Interpretation des Gesetzes sehen konnte, nicht seine Pervertierung riskierte. Es gab Grenzen der Privatsphäre, es hatte sie immer gegeben und musste sie immer geben. Ein Staat der unbegrenzten Privatsphäre würde zwangsläufig ein Staat des Chaos sein – ein Staat, der nicht lange ein Staat bleiben konnte.
    Aber das war wie seine Gesundheit und so viele andere Dinge zwischen ihnen etwas, das Clare und Mark nicht diskutierten. Wenn sie sich nach seiner Arbeit erkundigte, verstummte er entweder oder verteidigte sich. Sie hoffte, dass er über juristische Dinge mit seinem Vater, der in so vielen Belangen sein Vorbild gewesen war, reden konnte. Zum Wohl beider Männer hoffte sie, dass sie sich einer solchen Vertrautheit erfreuten, obwohl sie mit den Jahren zur Auffassung kam, das sei nicht so und Marks bester und engster Gesprächspartner sei sein eigener Intellekt. Und darin kam er vielleicht mehr nach seiner Mutter.

CLARE
    Während der Tag voranschreitet und ich Nosiphos enthusiastisches Staubsaugen, Adams

Weitere Kostenlose Bücher