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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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zu, der immer noch keuchend atmete, doch zu stolz war, sich zu entschuldigen. »Wir haben keine Zeit mehr. Du hast deine Termine.«
    »Du bist schneller zurück, als du angedeutet hattest«, sagte Clare, als Mark an jenem Abend die Haustür aufschloss. Etwas früher am Tag hatte sie einen Moment lang mit dem Gedanken gespielt, den Code der Alarmanlage und die Schlösser auszuwechseln, und war dann zu der Einsicht gelangt, wie abwegig das jedem anderen außer ihr erschienen wäre. Es war eine Sache, seine Kinder zu lieben, aber eine ganz andere, ihnen unbegrenzten Zugang zu seinem Leben zu gestatten, wie sie es gedankenlos getan hatte. Tatsächlich konnte sie sich nicht daran erinnern, Mark einen Schlüssel zu ihrem Haus gegeben zu haben – weder einen Schlüssel noch den Code für die Alarmanlage. Wenn sie doch diesen Lapsus korrigieren könnte, ohne ihn zu verletzen. Sie wusste jedoch, dass er schnell beleidigt war und etwas als Affront auffasste, was nicht als solcher beabsichtigt gewesen war. Wie er als Kind gebrüllt hatte, Drohungen ausgestoßen hatte, seine Freunde, Lehrer und sogar die Eltern, Großeltern und Schwester verklagen zu wollen – wie sehr er darin seiner Tante Nora geähnelt hatte, kam Clare jetzt zum ersten Mal in den Sinn. »Ich habe dich mindestens noch eine Stunde nicht zurück erwartet«, sagte sie und beugte sich zu ihm, um geküsst zu werden. Er tat dies pflichtgemäß rasch, als fände er den Kontakt abstoßend. »Das Abendbrot ist daher nicht annähernd fertig. Ich nehme an, dass du Hunger hast. Ich nehme an, dass du erwartest, die ganze Woche lang bewirtet zu werden. Bleibst du die ganze Woche? Hast du Hunger?«
    »Ja, Mutter, aber warum lässt du mich das nicht machen? Ich bin ein recht passabler Koch«, sagte er und küsste sie auf die andere Wange.
    »Es gibt nichts zu kochen, man muss nur den Herd einschalten und die aufgetaute Mahlzeit hineinstellen. Du könntest einen Salat zubereiten. Isst du Salat?« Sie schaute auf seine Taille und machte sich Sorgen wegen seines Herzens, wie sie es seit seinen Kindertagen getan hatte. Er sprach nicht mehr mit ihr über seine Gesundheit, doch sie wusste, dass er in den letzten Jahren operiert worden war. »Was hast du heute gemacht?«
    »Wie du weißt, habe ich mich mit Mandanten getroffen.« Er folgte ihr durch die Küche und sah zu, wie Clare einen Kopf Eisbergsalat, eine Avocado und zwei Tomaten aus dem Kühlschrank nahm. »Die Avocado ist nicht reif, Mutter. Du solltest sie mit ein paar Bananen in eine Papiertüte tun.«
    Clare schaute seine plumpen Hände an und seine Kieferpartie, die neuerdings die Konturen zu verlieren begann, und legte die Avocado wieder in den Kühlschrank.
    Aus Respekt vor Marks unerschütterlichem Glauben an Diskretion hatte sie gelernt, ihm keine neugierigen Fragen über seine Arbeit zu stellen. Die meisten Fälle, die er übernahm, hatten damit zu tun, dass er die Rechte von Individuen auf den Schutz der Privatsphäre verteidigte, wie sie in der neuen Verfassung des Landes verankert waren. Manchmal hatten die Fälle sie überrascht, wie der eine, in dem der Kläger behauptete, dass das Recht auf Achtung der Privatsphäre seine Arbeit als Prostituierter schütze. Mark hatte den Fall verloren, hatte aber leidenschaftlich zugunsten des jungen Mannes plädiert, der sich während seiner kurzen Gefängnishaft mit HIV ansteckte und wegen fehlender medizinischer Behandlung an einer mit AIDS in Verbindung stehenden Krankheit kurz nach seiner Entlassung starb.
    Clare hatte der Verhandlung im Verfassungsgericht beigewohnt – ihr erster Besuch dort, noch in der Anfangszeit des Gerichts – und war von den Räumlichkeiten und der darin untergebrachten Institution sowohl ergriffen als auch befremdet gewesen. Das Gebäude selbst war, wie sie fand, als architektonisches Gebilde ein Fehlgriff, obwohl es von vielen Seiten gefeiert worden war. Es schuf ein Gefühl von Offenheit und Transparenz und spiegelte die Geschichte des Landes wider, aber das alles geschah auf Kosten der monumentalen Würde, die ihm völlig fehlte. Obwohl offenkundig war, dass die Planer und Konstrukteure die zentrale Piazza als Ort des entspannten städtischen Lebens, der Picknicks und improvisierten Geselligkeiten und kommunalen Feiern gewollt hatten, kam sie einem stattdessen wie das vor, was sie war: ein umgewandelter Gefängnishof, einschließlich der Ruinen von zwei Treppen des abgerissenen Blocks, wo die Gefangenen einst auf ihren Prozess gewartet

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