Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
Vom Netzwerk:
zubrachte, sich darauf vorzubereiten, indem er das Drehbuch, das er schrieb, immer wieder durchspielte, damit er jede eventuell kommende Fragen zu beantworten wusste.
    Nach dem Tod seiner Eltern habe es eine Zeit gegeben, bevor er zu seiner Tante kam, sagte er, in der er von einem Vormund betreut wurde, einem Onkel, eigentlich einem Halbonkel, und der Vormund, dieser Halbonkel, war mit dem gesamten Geld vom Erbe seiner Eltern verschwunden, mit dem wenigen, was da war, und mit allen ihren Besitztümern, sogar seinen Spielsachen.
    »Ich besaß ein paar Bücher und ein paar Anziehsachen, das war’s auch schon.«
    »Und dieser Vormund, dein Halbonkel, ist einfach verschwunden?« Sarah klang mitfühlender als jemals ein anderer, abgesehen von seiner Mutter.
    »Er setzte mich ab – er verließ mich, und dann hat mich meine Tante aufgenommen. Er ließ mich bei ihr zurück. Er ließ mich einfach dort. Vor ihrer Tür.«
    »O Gott, Sam, das ist schrecklich. Du Armer.« Sie sah verletzt aus und Tränen traten ihr in die Augen, die sich in den Winkeln röteten. Sie wischte darüber und legte ihre Hände auf die seinen und hielt sie fest, als wollte sie die Wahrheit aus seinen Fingern pressen.
    Er konnte den Motor aufheulen hören und dann den Stoß fühlen, als ragte ein Gesteinsbrocken hoch, und den Schalthebel mit dem schwarzen Kopf in seiner kleinen Hand fühlen und dann den nächsten Stoß, der in ein Knirschen überging und in ein weiteres, leiseres Knirschen, und dann konnte er den Körper platt und mit rosaroter Farbe wie mit Wasser übergossen im Scheinwerferlicht des Lasters liegen sehen. Jahrelang hatte er sich krampfhaft bemüht, nichts im Zusammenhang mit diesem Augenblick zu fühlen und nicht darüber nachzudenken, wie er alles in seinem Leben verändert hatte. Er wusste, dass er die Veränderung herbeigeführt hatte, selbst wenn es ein Unfall gewesen war. Es gab keinen Zweifel daran, dass es ein Unfall gewesen war. Seine Eltern waren aufgrund eines Unfalls gestorben. So wurde es ihm von allen erklärt. Er versuchte sich zu erinnern, wer ihm zuerst mitgeteilt hatte, dass seine Eltern tot waren – es musste die Polizei gewesen sein oder Mrs Gush, die zahnlose alte Frau –, aber es gab eine Lücke, als wäre der Film seiner Erinnerungen zerschnitten und das Filmmaterial ganzer Tage verloren und in einem kaputten Projektor verbrannt, gelbe und schwarze Blasen aufwerfend und weiß verblassend.
    Unfälle passierten andauernd. Er kam aus einem Land der Unfälle. Er versuchte zu begreifen, was das bedeutete. Anscheinend bedeutete das, dass keiner je verantwortlich für irgendetwas war, wenn man nur die Wahrheit sagen und vor allem sagen konnte, dass es einem leidtue. Aber er hatte nicht die Wahrheit gesagt und es tat ihm nicht leid.
    Es war einfach nicht möglich, das alles zu erklären, daher sagte er einen Moment lang gar nichts und versuchte eine Erklärung zu finden, die ihn selbst sinnvoll dünkte. Durch ein gnädiges Schicksal hatte er diese Frau gefunden, die ihn gern zu haben schien, und da er sie jetzt gefunden hatte, konnte er sich nicht mehr vorstellen, ohne sie zu sein, aber die Wahrheit über alles zu sagen wäre zu riskant gewesen. Er konnte nicht darauf vertrauen, dass sie verstehen würde, er konnte nicht darauf vertrauen, dass sie seine Geheimnisse bewahren würde. Er spürte ihren Hunger nach Exotik und nach Geschichten, nach dem Verborgenen und Skandalträchtigen, und er wusste, dass dieser Hunger unstillbar war.
    »Es ist einfach passiert«, sagte er kopfschüttelnd. »Ich erinnere mich nicht, wie ich mich dabei gefühlt habe. Ich vermisste meine Eltern. Das habe ich gefühlt.«
    Er konnte sehen, dass sie mit dem, was er gefühlt hatte, nicht zufrieden sein würde. Er würde immer mehr geben und eine Fantasielandschaft malen müssen, denn er war sicher, sie wünschte sich, dass er von einem Ort stammte, den sie sich nicht vorstellen konnte. Daher erzählte er ihr von Vögeln, von denen sie noch nie gehört hatte – Hagedaschen und Bülbüls und Turakos –, und Pflanzen, die sie nie zuvor gesehen hatte – riesigen Euphorbien und Kohlbäumen und wilden Feigen –, und Bergen, so grün und weich, dass sie aussahen, als wären sie mit Samt gepolstert und mit Tupfen von Baumwollschafen versehen. Er belebte graue Staubkörnchen zu Scharen von Meerkatzen auf Plateaus und Bergpässen, zu Springbockherden, die in den Ebenen grasten, großen Trappen, die aus der flachen Karoo explosionsartig aufflogen, und

Weitere Kostenlose Bücher