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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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hinzukommen?
    Ihre
Clare
    PS : Ich nehme an, dass Sie die Feiertage »wahrnehmen«. Ich nicht. Aber ich wünsche Ihnen »eine frohe Weihnachtszeit«. Ich pflegte feiertäglichen Zusammenkünften auf langen Spaziergängen zu entfliehen, als man noch »relativ ungeschoren« (ich erinnere mich an diesen Ausdruck von Ihnen) in dieser Stadt spazieren gehen konnte, auf dem Berg oberhalb des Rhodes-Denkmals, wo die Bäume und die Universitätsarchitektur einem fast vorgaukeln, dass es der Palatin ist. Solche Spaziergänge sind nicht länger möglich, für mich nicht und tatsächlich für die meisten nicht. Nicht einmal Gruppen von Wanderern mit ganzen Hundemeuten sind mehr sicher. Wenn Sie im Mai nach Stellenbosch kämen, könnten wir vielleicht Zeit und Gelegenheit finden, einen Spaziergang zu machen. Das würde mir gefallen.

1998–99
    Das Leben seit dem Tod seiner Eltern war ihm vorgekommen, als bestünde es aus einer Nische nach der anderen: eine Nische im Häuschen seiner Tante; eine Nische in einem Raum oder in aufeinanderfolgenden Räumen der Schule und dann der Universität; eine Nische in einer Flugzeugkabine; eine Nische in seinem Zimmer im New Yorker Studentenwohnheim, zur Hälfte bewohnt von anderen Kreaturen und von Schmutzschichten, die einen Tag, nachdem man sie weggewischt hatte, wieder da waren. Sarah bot mehr als eine Nische. Sie war Raum und Licht und Leichtigkeit und selbstbewusste Bewegung und Anmut, so natürlich und unbewusst, dass er sie nur bewundern konnte.
    Er wusste nicht, was es bedeuten könnte, eine Beziehung mit einer Amerikanerin anzufangen, sein Schicksal mit einem anderen Land zu verbinden. Er akzeptierte, dass er zu schnell vorging; er wusste auch, dass er sonst fast niemanden hatte – nur eine Tante in einer Kleinstadt am Ende der Welt, jemand, der ihn zunächst einmal nicht haben wollte. Er hatte keine nennenswerten Beziehungen, kein Geld, keine Privilegien außer denen, die er sich verdienen mochte.
    Erzähl mir etwas über deine exotische Kindheit , sagte Sarah und malte dabei mit dem Finger eine Ellipse auf Sams Wange über einer Narbe, von der er nicht mehr wusste, wie sie zustande gekommen war, weil es schon in seiner frühen Kindheit passiert war. Dunkel erinnerte er sich daran, dass seine Mutter ihm erzählt hatte, eine Katze sei in sein Bettchen gesprungen, während eine andere Erinnerung ihm sagte, er sei gegen einen Stacheldrahtzaun gefallen. Noch eine andere besagte, er sei von jemandem hochgehoben und sein Gesicht mit einer zerbrochenen Flasche aufgeschlitzt worden, als ihn seine Eltern an einen Ort mitgenommen hatten, den sie besser gemieden hätten. Was auch geschehen war, die Narbe war da und verschwand nicht. Sie hatte zu ihm gehört, solange er seiner Erinnerung nach wie die Person ausgesehen hatte, die er als sich selbst erkannte. Wenn er sich sein Gesicht ohne die Narbe auf der linken Wange vorstellte, stellte er sich das Gesicht eines anderen vor, einer anderen Person mit anderer Identität, ein Selbst, das er einst gewesen sein mochte, nun aber nie mehr sein konnte. Dabei musste er an die Narbe im Gesicht seines Vaters denken, einem Gesicht, das dem seinen so unähnlich war, dass es zeitweise so schien, als wären Narben das Einzige, was sie beide verbinde.
    Immer wieder zeichnete sie die Ellipse mit der Fingerkuppe, bis er sie bat, damit aufzuhören, und seine Hand um die ihre legte und in ihre schwimmenden Augen sah. Exotisch war eine seltsame Beschreibung, da seine Kindheit ihm nie anders als alltäglich erschienen war, abgesehen vom Tod seiner Eltern und den Umständen, die ihn in die Obhut seiner Tante geführt hatten. Aber nicht einmal jene Ereignisse hatten etwas Exotisches an sich in der Art, wie die meisten Leute »exotisch« verstehen. Vermutlich musste er Sarah exotisch erscheinen und genau genommen war das eine korrekte Beschreibung seiner Person. Verglichen mit ihr kam er tatsächlich von außen, aus einem Land, so fremd wie möglich, obwohl er sich eigenartig heimisch in Amerika fühlte, das der Heimat so sehr und so wenig glich wie irgendein anderes Land. Bevor er nach New York kam, hatte er stets angenommen, Großbritannien sei das Vorbild und Bezugssystem seines Landes, aber je länger er sich in der Stadt aufhielt, desto stärker merkte er, wie er sich geirrt haben musste. Amerika erschien ihm wie sein Heimatland unter anderen Bedingungen, Gegenteil und Möglichkeit, kultureller Zwilling und Gegenüber.
    Wenn Sarah von seiner exotischen Kindheit

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