Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
Vom Netzwerk:
Modulation meiner Stimme, die, wie ich weiß, ein schon gefasstes Urteil andeuten sollte.
    »Sie vergessen, dass ich Mutter war«, spricht sie gedehnt, räuspert sich und hustet, »bevor ich Schriftstellerin wurde.«
    »Aber die beiden unveröffentlichten Romane, die Sie als Jugendwerke abtun, die haben Sie geschrieben, bevor Sie verheiratet waren, deshalb halte ich die Frage für nicht unberechtigt.«
    »Also gut. Hat die Mutterschaft mein Schreiben verändert? Meinen Sie die Schreibpraxis oder den Inhalt?« Ohne hörbaren Übergang schaltet sie vom geringschätzigen Ton auf einen, der nahelegt, dass sie wenigstens gewillt ist, die Frage ernsthaft zu erwägen.
    »Beides. Wie Sie ›Schreiben‹ interpretieren möchten.«
    »Es ist keine so schreckliche Frage, wenn ich darüber nachdenke«, sagt sie und macht wieder eine Pause, und ich erinnere mich, dass sie aus den Fenstern in ihren Garten geblickt hat, immer hat sie dort hinausgeblickt, als ob die Pflanzen, die Bäume und die Blumen, vielleicht sogar die Rasenflächen und der Pool alle Antworten bereithielten. »Die Mutterschaft veränderte die Schreibpraxis auf vorhersehbare Weise. Meine Zeit gehörte nicht mehr ganz mir, obwohl eine solche Erfahrung nicht einmalig ist, am wenigsten für eine Mutter. Der Fall liegt einfach so: Wenn man sich in die Institution Familie einbringt, bedeutet das immer die teilweise Auslöschung des Selbst (für die Unglücklichen, für die, die zwanghaft gegen die Einschränkungen der Familie rebellieren, weil sie meinen, es tun zu müssen, erscheint die Familie als totale Auslöschung des Selbst, als Zunichtemachen jeglicher Möglichkeit der individuellen Subjektivität). Für mich, als Mutter und Ehefrau zu jenem historischen Zeitpunkt in diesem gesellschaftlich rückschrittlichsten aller Siedlerländer, bedeutete das, dass ich plötzlich mit der Betreuung von Kindern belastet war, mit grundlegenden Dingen wie schmutzigen Windeln und hungrigen Mäulern und Geschrei und Schlafenszeiten und dann schließlich mit dem Transport der Kinder zur Schule und zurück und zum Besuch bei Freunden und mit den Dramen der Pubertät, wenn die Kinder die Eltern als Zuchtmeister und Förderer und Beschützer sehen, statt als selbstberechtigt Handelnde, wenn sie sie überhaupt sehen (wenn meine Kinder mich überhaupt sahen); die Erzählung des Kindes muss für das Kind die der Eltern, die nur Nebenfiguren sind, in den Hintergrund drängen. Die Mutterschaft raubte mir also Zeit, und um etwas davon zurückzuholen (jetzt lege ich groteskerweise eine Beichte ab), sparte ich sie bei meiner Ehe ein – weniger Zeit für meinen Mann, mehr für das Schreiben und die Kinder. Mein Sohn würde Ihnen eine andere Version erzählen, eine, in der ich, als meine Karriere dann begonnen hatte, fast immer abwesend war und er von seinem Vater aufgezogen wurde, von Kindermädchen, Au-Pairs, Haushaltshilfen und selbst Gärtnern. Aber das wäre keine zutreffende Version, auch keine ganz unzutreffende, gebe ich zu, und ich denke, in dieser Hinsicht muss ich mich nicht entschuldigen, weil ich manchmal nicht da war, während meine Kinder heranwuchsen. Ich war da, wenn es wichtig war. Was den Inhalt des Schreibens angeht, ob die biologische und chemische Tatsache der Mutterschaft meinen Stil und die Form und das Thema veränderte, das zu beurteilen muss ich den Kritikern überlassen, die es nach meinem Tod entscheiden werden.«

ABSOLUTION
    Beim Abendessen hatte Clare keinen Appetit. Sie schob ihr Essen auf dem Teller herum und spielte damit wie eine Katze, die ein versehentlich getötetes Tier mit der Pfote anstupst, während Mark eine Portion aufaß und sich eine zweite auftat, als ob er weder genug bekommen noch schnell genug fertig werden könnte. Falls ihre Blicke sich begegneten, dann nur kurz; es schien, als täte ihr Sohn alles Menschenmögliche, um sie nicht anzublicken. Der Teller vor ihm, die Serie von vier geometrischen Gemälden an den Wänden des Esszimmers und die Fenster mit dem Blick auf den hell erleuchteten Garten hinterm Haus, in dem Lampen die Bäume und Sträucher in eine statische Menagerie und den Pool in ein Fantasieportal aus schimmerndem Grün verwandelten – auf alldem ruhten Marks Augen, nur nicht auf dem Gesicht seiner Mutter. Ihm zu sagen, wie weh das tat, war unmöglich. Clare bemühte sich, ihn nicht anzustarren, aber es gelang ihr nicht; er war alles, was ihr auf der Welt geblieben war, abgesehen von den Menschen, die sie bezahlte, damit sie

Weitere Kostenlose Bücher