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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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offenbar solch eine natürliche Begabung fürs Beobachten hattest. Das war, bevor wir von deiner Kurzsichtigkeit erfuhren.« Davon, dachte sie, und von den anderen Problemen, den Herzgeräuschen, die einen Herzfehler zu nennen sie sich stets geweigert hatte, dem schweren Asthma, das in der Pubertät auftrat – Problemen, die in gewisser Art ein Segen gewesen waren.
    Mark grinste auf eine Weise, die Clare an William erinnerte, charmant und verführerisch, und berührte den Rahmen seiner Brille. »Die Jurisprudenz ist ein gutes Gegenmittel, mein Fernglas.«
    Clare fragte sich, ob er wusste, wie wenig man durch ein Fernglas sehen konnte – ein Detail eines kleinen Gegenstandes in einiger Entfernung, doch nichts darum herum oder dazwischen: das Ding, aber nicht den Kontext, in dem es stand.
    »Als Baby hast du ausgesehen, als hätten dich die Götter gemacht oder als hätte dich Hollywoods zentrales Castingbüro geschickt. Wenn es jemals einen geborenen Helden gegeben hat, dann schienst du es zu sein.«
    »Du behauptest, Nora sei neidisch gewesen.«
    »Gleich vom Anfang ihrer Ehe an hatte sie versucht, schwanger zu werden. Schließlich ließ sie sich untersuchen und, so erzählte sie im Vertrauen meiner Mutter, es kam heraus, dass bei ihr alles in Ordnung war. Das Problem lag also bei Stephan – und zur damaligen Zeit bedeutete das, dass sie die Wahl zwischen Kinderlosigkeit und einer Adoption hatte. Und Stephan war völlig gegen eine Adoption. Er sagte, man könne überhaupt nicht wissen, was in den Genen eines fremden Kindes so alles lauerte. Er hatte Angst vor einem rassischen Atavismus, dessen verräterische Merkmale erst später im Leben offenbar würden. Stell dir also vor, was es bedeutete, als die verhasste jüngere Schwester dieses goldige Kind bekam! Es war der Schlag, gegen den sich Nora seit der Zeit von Dorothys Geburtstagsfeier gewappnet hatte. Er signalisierte den Beginn des gnadenlosen Krieges zwischen uns, obwohl ich das Gefühl hatte, als hätte sich nichts geändert. Ich hatte stets gewusst, dass sie mich bestenfalls als Kontrahentin, wenn nicht etwas Schlimmeres, betrachtete. Einigen Menschen ist es möglich, Gegenstand des Hasses zu sein und weiter mit Liebe zu antworten oder wenigsten mit Gleichgültigkeit. Und dann gibt es Menschen wie mich«, sagte Clare und stützte den Kopf in die Hand. »Ich wollte meine Schwester nicht hassen, ganz bestimmt nicht. Ich wollte anständiger als sie sein, liebevoller. Aber ich war nicht gut genug. Ihr Hass nährte meinen Hass. Mir fehlte die moralische Reife, auf Böses mit Liebe zu reagieren, auf die bestmögliche Weise selbstlos zu sein.«
    »Du sagst, es war der Beginn eines Krieges, aber ich kann mir nicht vorstellen, was du damit meinst«, sagte Mark, wobei er sich umdrehte, um seine Mutter wieder direkt anzusehen. »Die Sache mit dem Kuchen auf Dorothys Geburtstagsfeier, da verstehe ich, wie das euer Verhältnis als Kinder beeinträchtigen konnte. Aber als Erwachsene – sie muss dir etwas Schreckliches angetan haben, dass du so über sie reden kannst. Ich hatte keine Ahnung, dass du sie gehasst hast.«
    »Und hier kommst du wieder ins Spiel, und nicht nur das: Du bist der Grundpfeiler der ganzen Konstruktion, die ich als ihre Verschwörung gegen mich ansah – denn zugegebenermaßen ist das meine subjektive Sicht. Mach dich nicht lustig darüber. So erstaunlich du als Kind auch gewesen sein magst, warst du doch nicht alt genug, etwas mitzubekommen, und kannst gewiss keine Erinnerung an jene Zeit haben. Einen Monat nach deiner Geburt pflegte Nora zu jeder Tageszeit in die Stadt zu fahren und völlig überraschend im Haus auf der Canigou Avenue aufzutauchen, begleitet von dem Fahrer, den sie und Stephan beschäftigten. Oft hatte sie einen Fotoapparat dabei und bestand darauf, dich zu fotografieren, ihren ›Süßen‹, wie sie sich auszudrücken beliebte – nicht ihren ›süßen Neffen‹, sondern › ihren Süßen‹ –, als würdest du ihr gehören und nicht mir. Zunächst war ich verwirrt, überrascht, doch auch voller Hoffnung, weil ich mir vorstellte, sie könnte ihre alte Feindseligkeit ablegen und eine positive Rolle in unserem Leben spielen. Ich hoffte auch, dass ihr plötzliches Interesse an dir vielleicht eine schwindende Anteilnahme an den politischen Überzeugungen von Stephan und seiner Partei signalisierte. Wenn sie sich so weit von ihrem Ausgangspunkt forttreiben lassen konnte, dachte ich, dann konnte man nicht wissen, was noch aus mir

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