Absolution - Roman
erklären zu lassen – danach gab es Veränderungen zu meinen Gunsten. Wie du weißt, war Stephan mehr als ein Aufsteiger in der Partei, so etwas wie der erhoffte Messias, und er bekam eine Diplomatenstelle, die ihn und Nora nach Washington, DC , führte. Ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert ich war, dass sie das Land verließen. Endlich , dachte ich, ist sie aus meinem Leben verschwunden! Fast ein Jahr verging in großem Frieden und dann hörte ich eines Tages von Nora selbst, dass sie und Stephan zurückkehren und nur einige Nächte in Kapstadt sein würden, ehe sie nach Pretoria weiterreisten. Stephan sei mit einer Leitungsfunktion in der Exekutive betraut worden und es deute alles darauf hin, dass er Favorit für ein Regierungsamt sei, erzählte sie mir. Wie du dir denken kannst, entsetzte mich die Aussicht auf Noras Rückkehr und Stephans Beförderung. Ich stellte mir vor, dass sie alles tun würde, was nötig war, um dich aus meiner Obhut zu reißen, und als ich den Hörer aufgelegt hatte, begann ich sofort, unsere eigene Emigration zu planen, weil ich annahm, das sei der einzige Weg, dich vor ihr in Sicherheit zu bringen.«
»Und hast du sie getroffen, als sie in Kapstadt waren?«
»Sozusagen«, entgegnete Clare und das Bild von Noras und Stephans Gesichtern, wie sie beide zum letzten Mal gesehen hatte, tauchte aus ihrem Gedächtnis auf. »Am Tag vor ihrer Rückkehr ging ich zu einem Treffen von einer der Gruppierungen, denen ich mich inzwischen angeschlossen hatte. Ich glaube, es war überwiegend ein Gesprächskreis für gleichgesinnte Radikale. Es gab keine formelle Zugehörigkeit und keinen Namen für das, was wir waren. Ich wusste wenig über die anderen Teilnehmer, außer dass es junge Männer und Frauen waren, die ihre Abscheu vor Unterdrückung einte. Es gab Gerüchte, dass einer der Gruppe, ein Mann, der selten sprach, Verbindungen zum MK haben könnte oder sogar selbst MK -Kader war. Ich weiß seinen Namen nicht mehr, vielleicht habe ich ihn auch nie gekannt, daher kann ich nichts Genaueres sagen. Alle wussten, dass Nora meine Schwester war, und irgendwie kam man auf Stephan zu sprechen. Hier bot sich eine Gelegenheit, mich bei diesen Menschen, die ich respektierte, interessant zu machen, dachte ich, und mich im Fall des Mannes, der selten sprach, der vielleicht zum bewaffneten Arm der Befreiungsbewegung gehörte oder auch nicht, sogar nützlich zu erweisen. Ich gab bekannt, dass meine Schwester und mein Schwager heimkehrten, dass Stephan zurückgerufen worden war und dass sie am darauffolgenden Tag für einen Aufenthalt von wenigen Nächten in Kapstadt ankommen würden. Der Mann, der selten sprach, wirkte plötzlich wacher und fragte, ob sie bei mir wohnen würden. Ich verneinte das und sagte, sie würden in einer Pension in Constantia wohnen. Ich gab ihm den Namen und wusste dabei, dass es gut möglich war, dass ich meine Schwester in Lebensgefahr brachte. Nora hatte am Telefon angedeutet, dass ihre Rückkehr nicht allgemein bekannt war und dass ihre Unterkunft auch geheim war, da Stephan Todesdrohungen erhalten hatte. Man hatte in der nationalen Presse über Stephan und seine Aktivitäten in Washington berichtet, darüber, dass er Geld von internationalen Investoren und dem IWF beschaffte – das war alles ausführlich berichtet worden, kritisch von denen, die den Mut zur Kritik hatten, frohlockend von den Sprachrohren des Establishments. Ich wusste, dass ich sie beide gefährdete, indem ich nicht nur ihren Reiseplan, sondern auch ihren Aufenthaltsort in Kapstadt verriet. Und statt Reue empfand ich diesen Sturm der Erregung und sogar eine Art ekstatischen Entsetzens darüber, dass ich bewiesen hatte, nicht nur eine Professorenfrau und Mutter zu sein, nicht bloß eine Schriftstellerin, die sehr wenig veröffentlicht hatte, sondern eine Frau mit Informationen und Wissen, die wusste, wann dieses Wissen nützlich sein konnte, und sich nicht scheute zu handeln. Der Mann, der selten sprach, bedankte sich bei mir für die interessante Information und wir wandten uns anderen Themen zu.«
»Und in den folgenden Tagen …?«
»Zwei Tage später waren sie tot. Die Polizei weckte mich mitten in der Nacht und nahm mich mit, damit ich die Leichen identifizierte. Ihre Gesichter waren entstellt. Ihr mutmaßlicher Mörder, John Dlamini, war ein Mann, dem ich nie auf einem der von mir besuchten Treffen begegnet war, es war ganz gewiss nicht der Mann, der selten sprach und von dem man erzählte, er hätte
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