Absolution - Roman
mir beinah übel wird, und hoffe Trost, vielleicht sogar Verständnis in Clares Worten zu finden.
Absolution hat einen geschmackvollen matten Einband mit dem Bild eines weiß getünchten kapholländischen Farmhauses im Sommer, umgeben von Bäumen und mit einem hinter ihm aufragenden Berg, das Ganze gesehen durch eine zerbrochene Fensterscheibe. Auf der Fensterbank, die die Szene einrahmt, kriecht eine Schnecke über Glasscherben. Gäbe es nicht die Verzerrung durch das Fenster, dann wäre das Bild des Hauses in der Landschaft beinahe Kitsch, ein Stereotyp der südafrikanischen Pastorale, ein mittelmäßiger Pierneef, doch ich vermute, dahinter könnte Absicht stecken. Mit dem Rahmen lädt es uns ein, über das Haus mit dem zerbrochenen Fenster zu spekulieren, was es für ein Haus ist, wem es gehört und welche Person oder Personen darin wohnen, wer durch die zerstörte Scheibe, an der Schnecke vorbei, auf das elegante Haus im Hintergrund schauen mag. Es könnte die Hütte eines Arbeiters auf einem Weingut sein, zugig und schlecht beleuchtet, mangelhaft instand gehalten, dicht genug beim großen Haus, um einen guten Blick darauf zu haben, ohne die Idylle zu beeinträchtigen, die Ziegen auf dem Rasen, die Enten im beschatteten Teich, die aus England importierten Eichhörnchen und Eichen. Der Text selbst hat nichts mit dem Bild zu tun oder wenigstens nicht vordergründig. Während ich lese, weiß ich, dass ich etwas zu entdecken hoffe, unter Umständen eine indirekte Anspielung, ein Flüstern oder ein Schweigen, das sich auf mich beziehen könnte.
Natürlich ist da nichts. Das Buch wurde geschrieben, bevor ich Clare zu interviewen begonnen hatte, und ich kann nicht einmal eine indirekte Anspielung auf mich entdecken, selbst ein beredtes Schweigen nicht. Ich versuche, nicht enttäuscht zu sein. Als ich fertig gelesen habe, ist es später Abend und beinahe dunkel draußen.
Ich stehe in der Küche, bei geschlossenen und verriegelten Türen und Fenstern, obwohl die Luft drinnen stickig ist, gieße mir ein Glas Wein ein und halte das Buch auf Armlänge, drehe es hin und her, fühle die Glätte seines Umschlags. Auf der Rückseite hat der Verlag den Band als »Roman« charakterisiert, falls wir Zweifel haben. Aber genau die sollten wir wahrscheinlich haben, denn hier ist Clare, so im Text genannt, und da sind Marie sowie Clares Sohn Mark, der bestimmt nicht glücklich darüber ist, wie ihn seine Mutter dargestellt hat. Das Buch bietet offensichtlich eine genaue Beschreibung von Clares und Maries ungewöhnlicher häuslicher Übereinkunft, die zu intim, zu symbiotisch ist, um nur geschäftlicher Art zu sein. Sie sind zwar zwei Akademikerinnen, Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin, doch sie sind unzertrennlich und auf eine Weise voneinander abhängig geworden, die mehr von Freundschaft oder Liebe spricht als von Arbeitsvertrag und Vergütung. Ich sehe Marie ein Wägelchen mit dem Mittagessen in Clares Arbeitszimmer schieben, wobei die stumme Verständigung zwischen ihnen durch Blicke und andere Körpersprache geschieht – ein kaum gehobener Finger, eine fast unmerkliche Hebung des Kinns, ein Schmalwerden der Lippen. Es ist eine Art von Magie, dass zwei Menschen in der Lage sind, einander so mühelos zu verstehen.
Ob bei Clare tatsächlich ein Raubüberfall oder ein Einbruch stattgefunden hat, weiß ich nicht – sie hat mir gegenüber nie davon gesprochen. Als Kontrapunkt zur Schilderung eines kürzlich durchlebten Traumas und Aufruhrs gibt es im Buch lange Diskurse über ihre Vorfahren, ihre Migration von England nach Südafrika in den 1820er-Jahren und die wirtschaftliche Geschichte der Familienmitglieder, alles mit einer distanzierten Stimme in der dritten Person wiedergegeben. Das Gleichgewicht zwischen den beiden Hälften – der teilweise surrealen Traumaschilderung und der ziemlich trockenen, historisch exakten Beschreibung von Familie und Kindheit – wirkt nicht per se wie ein Roman. Clare teilt mir in einem Begleitschreiben mit, dass das Buch einer Autobiografie so nahe kommt, wie es ihr möglich ist und zukünftig sein wird, dass es aber nicht als solche präsentiert wird, und gleichzeitig kann ich nicht so recht erkennen, wie es als Fiktion funktioniert. Oder vielleicht sollte ich eigentlich folgende Frage stellen: Das Buch als Roman zu bezeichnen – was ermöglicht diese Taktik Clare?
Der echte Schock ist, was Clare zu ihrer Schwester Nora schreibt. Darauf wollte sie die ganze Zeit hinaus, denke ich – die
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