Absolution - Roman
gespielt hatte, ohne meine Fragen zu beantworten. Eine Woche später kam die Polizei und erklärte, dass sie einen Anruf mit dem Hinweis bekommen hätten, wir würden das Wohl eines Kindes gefährden. Sie fanden nichts, verabschiedeten sich so, dass es nach einer Drohung klang, und ließen uns dann in Ruhe.«
»Und du vermutest, es war Nora.«
»Sie muss es gewesen sein.«
»Hätte es nicht jemand sein können, der etwas gegen Papa hatte oder gegen dich oder sogar gegen Großpapa?«
»Das ist wohl möglich. Aber Nora kommt dafür am ehesten infrage. Jedenfalls, als alle diese Interventionen nicht die gewünschte Wirkung hatten, nahm sie die Besuche wieder auf, immer zu den ungelegensten Zeiten. Inzwischen hatte ich meine Hemmungen abgelegt, sie nicht einzulassen, aber ich hatte nun auch Angst davor, dass sie nie aufhören würde, bis sie hatte, was sie eigentlich wollte.«
»Und was war das?«
»Begreifst du nicht? Sie wollte mich um mein Kind bringen, dich mir wegnehmen und als ihr Kind haben. Wenn sie kein eigenes Kind zur Welt bringen konnte, würde sie das Nächstbeste nehmen. Ich begriff allmählich, dass ich dich, wenn ich dich behalten wollte, um jeden Preis verteidigen musste. Ich musste sie loswerden. Ich musste sie verschwinden lassen.«
Während das Wasser im Kessel kochte, trieb Clare eine Büchse Pulverkaffee in der Speisekammer auf. Sie las die Anweisungen auf dem Etikett und war unsicher, was mit einem »Teelöffel« gemeint war, ob es sich auf einen genormten Messlöffel bezog, wie ihn einst ihre Mutter benutzt hatte, oder auf einen gewöhnlichen Löffel mit ungenauem Inhalt, den die meisten Leute benutzten. Sie entschied sich für das Letztere und tat zwei gehäufte Teelöffel Kaffeepulver in jede Tasse – so mochte es Adam, und dann noch drei Stück Zucker. Das Wasser kochte, sie goss es in die Tassen und ließ in einer Platz für Milch. Ihren eigenen Kaffee trank sie schwarz. Sie suchte in der Speisekammer nach Zucker, konnte aber keinen finden, schaute dann im Schrank neben dem Herd nach, doch dort war auch keiner. Dann fiel ihr ein, dass Behälter auf der Küchentheke standen, und mit beleidigender Selbstverständlichkeit befand sich einer mit der Aufschrift »Zucker« gleich neben dem Wasserkessel. Sie musste Marie darum bitten, die Schränke mit einem ausführlichen Inhaltsverzeichnis zu versehen. Wenn eine Bücherei einen Katalog hat, sollte ihn eine Küche ebenfalls haben.
Sie fand zwei Untersetzer im Wohnzimmereckschrank und stellte die Tassen auf den Couchtisch. Mark sah die Nachrichten und hatte sie nicht angeschaut, als sie den Raum betrat.
»Hoffentlich ist er in Ordnung«, sagte sie, auf den Kaffee zeigend. »Ich bin in der Küche ziemlich hilflos.«
»Danke, er ist bestimmt gut.« Er redete, ohne sie anzusehen, die Augen auf den Fernsehschirm gerichtet. Ohne ihn zu fragen, ob er was dagegen habe, schaltete Clare den Fernseher aus.
»Kannst du nicht mit mir reden wie mein Sohn und nicht nur wie irgendein Gesprächspartner?«
Mark seufzte, schlürfte seinen Kaffee und setzte die Tasse mit einem Nachdruck ab, der Clare überraschte. »Du erwartest von mir, dass ich zu viele Rollen übernehme, Mutter. Offenbar möchtest du, dass ich außer deinem Sohn auch dein Beichtvater und dein Richter bin. Manchmal frage ich mich sogar, ob du wünschst, dass ich der letzte Mann in deinem Leben sein soll. Das alles kann ich nicht gleichzeitig sein. Wenn du jetzt gerade einen Beichtvater oder einen Richter am nötigsten hast, dann kann ich das vermutlich sein. Aber wenn du ein Kind möchtest, so kann ich diese Rolle nicht mehr spielen. Du hast uns nicht zu herzlichen Menschen erzogen. Fehlt noch etwas bei deinem Geständnis zu Tante Nora? Gibt es weitere schreckliche Dinge, die du mir erzählen musst?«
»Wenn du es über dich bringen kannst, dieser alten Frau zuzuhören – da ist nur noch ein klein wenig mehr, wenn du es aushältst«, sagte Clare und ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren brüchig und fremd.
»Natürlich, Mutter. So war es nicht gemeint. Ich bin müde und es tut mir leid, wenn es schroff geklungen hat. Das war nicht meine Absicht.«
»Was noch an der Nora-Geschichte fehlt, sind die genauen Umstände meines Verrats, wenn es denn möglich ist, jemanden zu verraten, der objektiv schon dein Feind ist. Nach ihrer Kampagne gegen mich –«
»Wie du es gesehen hast.«
»Gut, nach dem, was ich als Kampagne gegen mich empfand oder als Versuch, mich zur untauglichen Mutter
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