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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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weißt, wo sie ihr Ende fand …« Ich registriere den flehenden Ton meiner Stimme und es ist mir unangenehm, weil es mich daran erinnert, wie ich als Kind Laura angefleht habe, wie ich meine Tante anzuflehen pflegte, die Lehrer und jeden, der mir nicht das gab, was ich wollte.
    »Du willst es also wissen?«, seufzt Timothy, stellt das Buch wieder zurück, wendet sich zu mir und zeigt mit seinem Glas auf mich. »Was ich dir sagen kann, ist, dass Laura auf der falschen Seite der Geschichte stand. Das kann ich dir sagen.«
    Ich verstehe nicht, was er meint. Was er andeutet, scheint unmöglich. »Du meinst, sie war zu militant?«
    Timothy schnaubt, schlürft seinen Wein. »Gott, du hast wirklich keine Ahnung.«
    »Na, hör mal, Tim, wie sollte er auch.« Lionel rutscht auf seinem Stuhl nach vorn, als wollte er mehr sagen, aber dann streckt Timothy den Arm aus und Lionel rutscht wieder zurück.
    »Sie war auf der falschen Seite, Sam.« Timothy sitzt wieder; seine Stimme klingt jetzt sanfter, als bemühte er sich, seinen Ton meinem Gesichtsausdruck anzupassen. »Sie war auf der falschen Seite und jemand ist ihr auf die Schliche gekommen. Das ist alles, was ich weiß.«
    »Aber nichts dergleichen ist herausgekommen, als die Wahrheitsfindungskommission –«
    »Die Kommission war unvollkommen. Sie war unvollständig. Sie gibt nicht die Gesamtheit der Ereignisse während der späten Apartheid-Zeit wieder. Hör zu«, sagt er und legt die Hände aneinander wie ein Prediger, »sie war ein Ärgernis. Keiner wollte über sie sprechen – wir nicht und die andere Seite auch nicht. Ich weiß nicht, die Sache wurde irgendwie vertuscht, und das geschieht nicht einfach so. Eine Vertuschung braucht einen, der sie anordnet, wenn du weißt, was ich meine. Die Familie hat, Gott sei Dank, nie darauf bestanden, den Fall aufzuklären. Wenn sie es getan hätte, wer weiß, was dann herausgekommen wäre. Wir wüssten dann vielleicht tatsächlich, was ihr zugestoßen ist.«
    »Dann weißt du es also nicht?«
    »Ich weiß nur, dass sie mit jemandem fortgegangen und nie zurückgekommen ist. Der Mann, der sie mitgenommen hat, ist nicht viel später gestorben, er wurde in Mosambik von einer Briefbombe getötet. Wenn irgendeiner wusste, was mit ihr geschehen ist und wo sie ihr Ende gefunden hat, wo sie begraben sein könnte, dann er. Aber er kann es uns nicht sagen. Daher ist sie tatsächlich verschwunden.«
    Die Information erreicht mich wie ein Überfall oder eine Explosion. Ich fühle mich angegriffen, am Boden zerstört, missbraucht. Ich möchte sie loswerden. Dass ich mich an Lionel gewendet habe, war schon ein Fehler. Ich bringe plötzlich Entschuldigungen vor, sage, dass Sarah morgen früh aufstehen muss. Lionel wirkt verlegen und ich höre Timothy etwas wie »Hab dir doch gleich gesagt, dass es so enden wird« vor sich hin murmeln. Während ich zusehe, wie das Auto rückwärts die Auffahrt hinunterfährt, hoffe ich nur, dass ich sie nie wiedersehe. Ihre Version der Geschichte will ich nicht hören.
    Als ich wieder drinnen bin, erzähle ich Sarah, was Timothy gesagt hat. Während ich spreche, zittern meine Hände und Arme und mir bricht allmählich die Stimme weg. Ich kann ihr gerade noch sagen, dass ich nicht weiß, wie ich es verstehen soll. Sie hält mich fest, hört sich meinen erregten Wortschwall an. Laura galt als Freundin meiner Eltern und die ganze Zeit über, bringe ich gepresst heraus, hat sie sie verraten. Sarah sagt nicht, ich solle mich beruhigen oder es einfach vergessen.
    »Ist es möglich«, sage ich und sehe überall rot, alles dreht sich um mich, »dass sie meine Eltern sabotiert hat?«
    Sarah schüttelt den Kopf. Es ist eine Frage, die sie nicht beantworten kann.
    Montagmorgen. Sarah fliegt für eine Woche nach Angola. Ich bringe sie zum Flughafen und verschanze mich dann im Haus, wo ich mich Clares neuem Buch zuwende, das heute ankam und das, vielleicht ironischerweise, genau die Ablenkung ist, die ich vom Nachdenken über Laura brauche. Es fällt mir schwer zu glauben, was Timothy mir erzählt hat, aber ich habe keinen Grund zu glauben, er würde lügen. Und doch erscheint es unmöglich, dass Laura auf der anderen Seite gewesen sein soll. Es ergibt einfach keinen Sinn und gleichzeitig ergibt es anscheinend sehr wohl einen Sinn – nicht nur was ihr Verschwinden angeht, sondern auch was die Weise angeht, auf die meine Eltern gestorben sind.
    Ich wende mich ab von diesen Gedanken, die sich so verrückt im Kreis drehen, dass

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