Absolution - Roman
könnte man mir einen solchen Befall am Gesicht ansehen und somit erraten, dass ich die Schrecken des Zensors beherbergte. Der Schrecken deutet auf ein gewisses schuldbeladenes Gewissen hin (jedenfalls befürchtet das der befallene Schriftsteller) und das verschlimmert den Befall nur umso mehr. Man fängt an, jedes geschriebene Wort zu prüfen, jede Wendung, versucht, Bedeutungen zu entdecken, die selbst dem Geist des Schriftstellers verborgen sind, und das ist die Quelle echten Wahnsinns. Einer meiner Freunde, ein Schriftstellerkollege, hat sein eigenes geistiges Verhältnis zum Zensor als das eines Baumes beschrieben, der von einer Schlingpflanze gewürgt wird. Man denke an den Schlingfaden, Cassytha filiformis , blattlos und verfilzt, der einen ganzen Baum umwuchert, ihn erstickt, doch nicht abtötet. Für mich ist das eine zu äußerliche Metapher. In meinem Fall war der Zensor ein Eindringling in den Körper, immer bei mir, ganz in mir, innerlich Blut saugend. Ich wusste, wonach der Zensor in meinem Text suchen würde, und kannte die Art des Geistes, der die Suche ausführen würde; er würde eine Anspielung sehen, wo es vielleicht nur eine Dokumentation gab, obwohl man mein Werk niemals bezichtigen konnte, dokumentarisch zu sein, vielleicht weil ich wusste, welche Haltung der Zensor der dokumentarischen Form, dem journalistischen Schreiben gegenüber einnehmen würde. Mein eigenes Vermeiden des gesellschaftlich-dokumentarischen Schreibens ist selbst ein Symptom der Krankheit, die die Beziehung zum Zensor ist . Wenn man sich die Schriftsteller ansieht, die verboten wurden, und die Bücher, die als ›unerwünscht‹ bezeichnet wurden, so sind sehr viele der sozialrealistischen Schule zuzurechnen und schildern in recht unmittelbarer Art und Weise den Zustand des Landes in seiner Notzeit. Und während unsere Zensur oft willkürlich und widersprüchlich war und ihre Angriffsziele über die Jahrzehnte hin wechselte, war sie deshalb doch nicht weniger bösartig und umfassend. Ich habe jahrzehntelang auf eine bestimmte Weise geschrieben, um ein Verbot meiner Bücher zu umgehen. Ich schrieb erfolgreich Bücher, die die Zensoren nicht verstanden, weil ihnen die Intelligenz fehlte, bei der Lektüre unter die Oberfläche zu dringen, und selbst die Oberfläche war fast undurchschaubar für sie, Dunkles in Dunkles geätzt. Ist das das Geständnis, das Sie mir zu entlocken hofften – dass ich ganz bewusst auf nebulöse Art geschrieben habe, um weiter publiziert zu werden? Das habe ich getan. Ich halte es für kein Verbrechen. Ich betrachte es als Überlebensstrategie, einen Anpassungsmechanismus, in der Sprache der Populärpsychologie, in dem ich offenbar brillant gewesen bin.«
»Und wenn man die Berichte der Zensoren über Ihre Bücher liest, so heißt es darin stets, sie seien zu ›literarisch‹, um Unruhe unter den ›Durchschnittslesern‹ zu stiften.«
»Damit meinen sie die Mehrheit. Ich habe die Berichte gelesen. Bücher und Streitschriften in schlichter, polemischer Sprache, Bücher, die unverschlüsselt die Realitäten dieses Landes unter der alten Regierung skizzierten – das waren die Bücher, die von den Zensoren am ehesten verboten wurden, nicht meine. Sie hätten meine Bücher verdammen können, sie als ›unerwünscht‹ einstufen können, aus einer beliebigen Zahl von Gründen: Anstößigkeit, Obszönität, Verletzung der öffentlichen Moral, Blasphemie, Verspottung aller möglichen rassischen oder religiösen Gruppierungen, eine Gefahr für die Beziehung der Rassen untereinander oder eine Bedrohung für die nationale Sicherheit. Stattdessen befanden sie die Bücher für ›nicht unerwünscht‹, was nicht heißen soll, dass sie in irgendeiner Weise als ›erwünscht‹ beurteilt wurden, nur dass sie nicht anstößig genug waren, um aktiv unerwünscht zu sein. Sie wurden geprüft und schlicht als passive Objekte eingestuft, die im Schwellenbereich zwischen Wunsch und Abscheu, Verlangen und Ablehnung hängen blieben. Das ist eine merkwürdige Art von Literaturbetrachtung, besonders für Personen – ich meine die Zensoren –, die sich so naiv selbst als kultivierte Vermittler des Literarischen sahen. Doch all das heißt nicht, dass ich gegen die Auswirkungen der Zensur gefeit war.«
Auf Gregs Vorschlag hin fuhr ich gestern allein nach Robben Island, um die ehemaligen Gefängnisgebäude zu besichtigen. Er dachte, dass es mir helfen würde, wieder »Verbindung« mit dem Land aufzunehmen. Der Himmel war
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