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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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eingereicht, vielen Menschen wurde Amnestie gewährt für schlimme Gewalttaten – die unter der alten Regierung vorgeblich ›legal‹ waren, da sie von der Regierung selbst durchgeführt oder angeordnet wurden, die aber klare Menschenrechtsverletzungen und nach der neuen Verfassung des Landes ganz offensichtlich illegal waren –, doch ich kann keinen Beleg dafür finden, dass jemand ein Amnestiegesuch eingereicht hat, weil er als Zensor oder für die Zensurbehörde gearbeitet hat.«
    »Nein?«, fragt Clare mit ausdrucksloser Miene. »Vermutlich haben sie ihre Arbeit nicht als gewalttätig angesehen. Gewalt ist der Schlüssel, jemandem physisch Gewalt antun. Wissen Sie, so viele der Zeugenberichte drehen sich um persönliche Gewalterfahrungen. Wenn man ein Buch nicht veröffentlichen kann, ist das relativ unerheblich, verglichen mit dem, was so vielen zugestoßen ist.« Ihre Augen sind müde, sie sehen nicht mich an, sondern wieder den Gärtner, der in die Nähe des schon gestutzten Busches zurückgekehrt ist, um nun eine benachbarte Protea in eine andere Form zu zwingen. Jetzt bemüht sie sich nicht, so zu tun, als beschäftigte sie etwas anderes.
    »Obwohl das Verbieten eines Buches oder das Publikationsverbot für den Autor gravierende – man könnte auch sagen, fatale – Auswirkungen auf den Lebensunterhalt und das Leben des Autors und das seiner Freunde und Familie haben konnte?«, frage ich.
    »Ja. Das ist seltsam, wie Sie sagen. Ich habe keine Antwort darauf.«
    »Vielleicht meldeten sich keine Zensoren, weil sie sich darauf verließen, dass ihre Identität geheim bleiben würde.«
    »Eher glaubten sie wohl, dass es keinen interessieren würde, angesichts so vieler anderer schrecklicher Gräueltaten«, sagt sie und schaut mich heute zum ersten Mal länger als nur einen kurzen Moment direkt an. »Ich glaube nicht, dass jemand das Verbot eines Buches als schwere Menschenrechtsverletzung betrachtet hätte. Was nicht heißen soll, dass man Zensur nicht so einschätzen sollte, als so schwerwiegend. Aber wir reden von Graden der Menschenrechtsverletzung …«
    »Waren Ihre eigenen Bücher je von Zensur bedroht?«
    »Bedroht in welcher Weise? Wenn Sie wissen wollen, ob die Zensoren je zu mir gekommen sind und gesagt haben: ›Wir werden dieses Buch verbieten, wenn Sie nicht x, y oder z streichen‹, dann nein. Niemand hat jemals so etwas getan. Ganz so hat das nicht stattgefunden, obwohl ich weiß, dass die Zensoren etliche meiner Bücher geprüft haben, und in einem Fall hat es ein Einfuhrverbot gegeben, bis sie den fraglichen Text lesen und zum Schluss kommen konnten, dass er nichts enthielt, das das Land zu destabilisieren drohte. Ich habe die Berichte gesehen. Sie sind auf ihre Art recht amüsant – amüsant und deprimierend und auf eigenartige, perverse Weise schmeichelhaft. Wehe dem Schriftsteller, der vom Lob eines Zensors geschmeichelt ist. Aber darum geht es ja gar nicht«, sagt sie und setzt sich wieder in Positur, »weil, wie ich in Black Tongue sage, jeder Schriftsteller, der unter der Drohung staatlicher Zensur arbeitet, egal wie allgemein, wie verbreitet diese ist, jederzeit wirkungsvoll bedroht wird. Wir sind wieder beim Syndrom der misshandelten Ehefrau angekommen. Schlimmer noch, weil ich als unter der alten Regierung lebende Schriftstellerin – wie zweifellos viele andere Schriftsteller in der gleichen oder einer ähnlichen Lage – bemerkte, dass der Zensor mein Bewusstsein befallen hatte, wie ein Wurm. Er lebte im Gehirn und fraß sich durch den Schädel, er lebte mit mir, in mir, beanspruchte denselben geistigen Raum. Ich war mir des Wurms stets bewusst. Er übte eine Art psychischen Druck aus, den ich physiologisch erlebte, genau hier im Nebenhöhlenbereich, zwischen und hinter den Augen und im Stirnlappen, als Druck hinter der Stirn. Er war giftig, sonderte Halluzinogene ab, die meine Gedanken pervertierten. Ich wurde besessen von seiner bloßen Gegenwart: Das Herz raste, das Gehirn explodierte und versuchte, sich von dem Wurm zu befreien; ich habe oft gedacht, das sei wie Brainstorming – aber nicht in dem Sinn, wie ihr Amerikaner das Wort gebraucht, kein ›Ideengewitter‹, sondern ein buchstäblich elektrischer Sturm, der im Schädel tobte und den Wurm mit einem tödlichen Schlag niederzustrecken versuchte. Wenn ich nach draußen ging, in die Öffentlichkeit, war ich verlegen, verängstigt und angeekelt, aus Furcht, jemand könnte erraten, dass der Wurm mich befallen hatte – als

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