Absolution - Roman
ich, weil er unsicher in Bezug auf ihre vorherige Anweisung ist oder bezweifelt, dass sie vernünftig ist. Sie antwortet, nachdrücklicher, eilig, und dann liegt die Schere im Gras und der Gärtner hat sich über den Rasen davongemacht in einen verborgenen Winkel des Gartens. Ich betrachte meine Notizen und bekomme mit, dass sie den Kopf dreht und das Fenster sich schließt; ich hebe die Augen und entdecke, dass ihr Blick auf meinem Gesicht ruht, mit einer Traurigkeit, die mich überrascht.
»Es ist kein Geheimnis, wer der sogenannten Publikationskontrollbehörde diente. Es gab, wie Sie bestimmt wissen, sogar einige Fälle von Schriftstellern, die als Gutachter arbeiteten – weniger bedeutende Dichter und Romanciers –, und auch eine Reihe von Akademikern, eine stattliche Reihe. Vielleicht ist das – ich meine die Akademiker – auch nicht allzu verwunderlich. Aber es gibt Zeitspannen, aus denen fast keine Berichte überliefert sind, daher erfahren wir vielleicht nie zur Gänze, wer der Behörde diente, wer Komplize war. Die Schriftsteller, die sich als Zensoren betätigten, waren nicht, wie man recht pervers hoffen könnte, gewaltsam in die Tätigkeit und Rolle des Zensors gedrängt worden. Sie taten es, weil sie an die Richtigkeit dieses Vorgehens glaubten, oder aber sie glaubten, sie könnten das Vorgehen etwas weniger banausisch gestalten, und hofften, das System von innen heraus zu unterminieren. Ihre Berichte sind eine deprimierende Lektüre. Was eine Definition des gewöhnlichen (das heißt üblichen ) Zensorentyps angeht – wir wollen hier rein theoretisch auch jene Menschen einschließen, deren Mittäterschaft geheim geblieben sein mag –, so würde ich Miltons Behauptung nicht widersprechen wollen.«
Ich bin gebannt von ihrer Sprechstimme, von den Formen, die ihr Mund annimmt, den scharfen Flächen ihres Gesichts und den feinen Linien um ihre Augen. Auf der Konferenz in Amsterdam hätte ich sie beinah gemieden, weil ich glaubte, das sei besser für uns. Ich redete mir ein, dass ich besorgt war, die Person könne den Worten auf der Seite nicht ebenbürtig sein, dass ich befürchtete, sie würde enttäuschen und ich würde nie die Art von Vertrautheit erreichen, die ich mir wünschte – oder nicht Vertrautheit, sondern Übereinstimmung, eine freundschaftliche Beziehung, die nur unter Ebenbürtigen möglich ist. Abgesehen von ihrer Sprödheit ist sie, wie ich allmählich glaube, genau die Person, die ihr Werk vermuten lässt. In dieser Hinsicht gibt es keine Enttäuschung.
Es gab und gibt eine größere Furcht. Ich habe sie eingepackt, mit altem Klebeband fixiert und mit morschem Strick verschnürt. Es ist mir schlecht gelungen. Ich fühle, wie sie zu entweichen sucht.
Der Gärtner kommt die Schere holen und lässt den schon gestutzten Busch diesmal in Ruhe. Ich sehe, wie Clare ihn beobachtet und so zu tun versucht, als hätte ein Hagedasch-Ibis ihre Aufmerksamkeit erregt. Das ist ganz klar eine List, entweder um mich oder den Gärtner zu täuschen. Sie interessiert sich nicht für den Ibis, auch für keinen anderen Vogel, außer einem, den sie vielleicht in ihrer Fantasie heraufbeschwört. Der hier und jetzt anwesende Ibis ist ein Anlass für sie, interessiert dreinzuschauen und meine Aufmerksamkeit von ihrem Interesse am – oder sagen wir ihrer Verärgerung über den – Gärtner abzulenken.
Es kommt mir seltsam vor, an Clare als »Clare« zu denken und nicht als »Wald«, in der Kurzform, die ich meist benutzt habe, wenn ich mit Sarah über sie sprach oder mit Kollegen und Studenten. Bis zu diesen Interviews existierte sie in meinen Gedanken mit ihrem Familiennamen, einem durch eine Ehe, die nicht mehr besteht, erworbenen Namen, der zudem die Assoziation mit »Forst« oder einfach »Holz« hervorruft. Ihr Familienname hat mich dazu gebracht, an sie und ihr Werk auf diese Weise zu denken – ein Forst mit Holz, das einen praktischen Nutzen haben könnte. Aus dem Forst taucht die Person auf, die ich in meinem Kopf erschaffen habe: halb Menschenfresserin, halb Mutter, verweigernd und gewährend, schlechte Brust und gute Brust, umrahmt von Bäumen. Ich versuche, mich wieder zurechtzufinden in der Liste von Fragen, die ich vorbereitet habe, Fragen, die nun ungehobelt, zu einseitig und dogmatisch erscheinen, zu simpel und kleinlich in Bezug auf das, was sie offenbar nahelegen.
»In den Jahren nach den ersten demokratischen Wahlen«, fange ich an, »gab es ein Amnestieprogramm. Viele Gesuche wurden
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