Absolution - Roman
bedeckt und der Blick auf die Stadt durch Wolken und Dunst beeinträchtigt. Ich konnte jenseits des Schiffes nichts erkennen und die Sicht war auf der Insel noch schlechter. Nachdem wir von Bord gegangen waren, wurden wir in einen Rundfahrtbus verfrachtet und ein junger Mann, groß und dünn, mit Dreadlocks, fing mit seinen vorbereiteten Ausführungen an. Er zeigte uns die Siedlung, das Hochsicherheitsgefängnis, die alte Leprakolonie, das Haus, in dem Robert Sobukwe in Isolationshaft gehalten worden war, den Steinbruch, wo Gefangene schwere Arbeit verrichteten und wo wir viel zu lange verweilten, weil ein amerikanischer Senator auf Besuchsreise eine private Führung bekam und uns aufhielt.
Da nur noch zwanzig Minuten von der Zeit, die uns auf der Insel zugeteilt war, übrig waren, durften wir mit einem ehemaligen politischen Gefangenen als Führer in den Zellen umherwandern. Greg hatte mir erzählt, das würde der bewegendste Teil des Besuchs sein, doch unser Führer war wortkarg. Als ihm gezielt, doch höflich, Fragen über die Bewegung gestellt wurden, ging er in die Defensive und plapperte die Parteidoktrin nach. Wenn die Anführer es für richtig befanden, musste es das auch sein. Ich bekam ein ungutes Gefühl.
Die berühmteste Zelle bewegte mich nur insoweit, als sie den Ort darstellte, an dem ein so großer Anteil eines außergewöhnlichen Lebens verbracht worden war, aber es war schwer, auch nur den Rest einer Präsenz dort zu spüren. Die Zelle ist düster, eng und kalt. Sie selbst enthält weder Leben noch einen Geist.
Ich blieb stehen, um das Büro zu fotografieren, in dem der Gefängniszensor die ankommenden und herausgehenden Briefe aller Insassen las. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es war, einen Brief zu erhalten, der vielleicht mit dem normalen Gruß in der Handschrift des geliebten Menschen begann, nur um zwei Zeilen später zu entdecken, dass der Inhalt des Briefes von der Hand des Zensors geschwärzt worden war, dass gerade die Worte, die in einer Zeit der erzwungenen Isolation Beistand leisten sollten, als zu riskant eingeschätzt wurden – oder zu wissen, dass alles, was man denen da draußen schreiben mochte, auch gelöscht werden könnte, dass Versuche der Beruhigung, des Trostes, der Antwort auf Fragen, die nicht beantwortet werden konnten, wegen der Vernebelungsaufgabe des Zensors sowieso geschwärzt werden würden.
Wir wurden zur eiligen Rückkehr aufs Schiff bewegt. Ich hoffte, dass der Nebel und Dunst sich heben würden, doch alles war grau und alle Passagiere lungerten apathisch im Inneren des Schiffs herum und waren schlecht gelaunt.
»Es war enttäuschend«, erzählte ich Greg am Abend. »Ich hatte mir gewünscht, es würde ergreifend sein.«
»Katharsis kannst du nicht kaufen«, sagte er, während er Dylan löffelweise mit Joghurt fütterte. »Das zu glauben ist pervers. Der Tourführer, der Busfahrer, der Exhäftling, sie alle sind jeden Tag dort. Sie sind mit einem nicht abreißenden Strom von Menschen wie dir konfrontiert, die die Geschichten hören wollen und erwarten, dass sie ergriffen werden, dass sie sich entweder mehr oder weniger verantwortlich fühlen, je nachdem, wer man ist und woher man kommt.« Er fängt einen Tropfen Joghurt auf, bevor er von Dylans Kinn auf sein Hemd fällt. » Du beschwerst dich darüber, dass du nicht ergriffen warst. Stell dir vor, was das für sie bedeuten muss. Vielleicht war es ein schlechter Tag. Vielleicht haben sie sich gestern damit verausgabt, die Menschen zu ergreifen, und hatten nun keine Energie mehr, etwas anderes abzuliefern als automatisch Hergesagtes. Vielleicht hatten sie alle ihre Energie mit dem einzelnen amerikanischen Würdenträger verausgabt. Stell dir vor, was das für die Menschen hier bedeutet«, sagte er kopfschüttelnd. Dylan wand sich in seinem Stühlchen und langte nach seinem Becher mit Saft. »Für sie ist die Insel nicht bloß eine Touristenattraktion, sondern ein Pilgerort und ihr Besuch, vielleicht der einzige, den sie je machen werden, wurde durch einen Amerikaner ruiniert. Ich will mich nicht aufregen. Für Fremde ist das bloß Gräueltourismus. Wir können eine Gesellschaft nicht mit Gräueltourismus umgestalten. Ich weiß nicht, vielleicht hätte ich dir nicht vorschlagen sollen, hinzufahren. Ich fühle mich schuldig, weil du nicht so verbunden mit dem Land bist wie ich, und ich bin auch neidisch, weil du so lange frei von ihm gewesen bist.« Dylan trank seinen Saft, aß noch einen Löffel Joghurt,
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