Absolution - Roman
Stühlchen sitzt und mit einem Spiel beschäftigt ist, das ihm das Alphabet näherbringen soll. Er singt mit.
»Ich habe sie nicht hier, aber ich kann sie dir erzählen. Sie heißt The Prisoner. Ein blinder Wissenschaftler, der sich Anerkennung verschafft hat, indem er das zunehmende Banausentum im öffentlichen Leben gegeißelt hat, fällt in Ungnade, als eine reaktionäre Regierung an die Macht kommt – eine besonders banausische Regierung. Der Wissenschaftler wird seiner Position an der Universität enthoben, ihm wird die Pension entzogen, er wird aus seinem Haus geworfen, und weil er obdach- und arbeitslos ist (und Obdach- und Arbeitslosigkeit sind unter den Gesetzen der neuen Regierung verboten), wird er von den Behörden eingesperrt. Weil sich nun die Gefängnisse füllen und weil die neue Regierung Wissenschaft und Kunst nicht wertschätzt, verwandelt man alle Museen und Bibliotheken in Gefängnisse und von den Insassen erwartet man, dass sie die an diesen Orten, diesen Kulturpalästen, gelagerten Artefakte als Brennstoff benutzen – dass sie Bücher und Gemälde verbrennen, um sich zu wärmen. Mit etlichen Hundert anderer wird also der blinde Wissenschaftler im Zentralen Lesesaal der Nationalbibliothek eingesperrt. Jeden Tag bringen die Wärter den Gefangenen zwei Mahlzeiten, damit sie nicht verhungern, und das verbleibende leichte Hungergefühl macht ihren Geist sogar noch reger. Sie dürfen die Toiletten benutzen, weil die Regierung Hygiene fast über alles andere schätzt. Die eingesperrten Wissenschaftler bauen sich Betten aus alten Enzyklopädien und schlafen unter den Bibliothekstischen, und als es Winter wird und die Heizung nicht ausreicht, verbrennen sie Zeitungen und Zeitschriften, solange es geht. Dann fangen sie an, die gesamte kommerzielle Literatur zu verbrennen, und schließlich müssen sie abstimmen, um zu entscheiden, welche wertvollen Bücher verbrannt werden sollen – anders gesagt: um zu entscheiden, welche Werke weniger wert sind als andere. Bei den Klassikern einigt man sich einstimmig zuerst auf Dickens und Shakespeare, nicht weil sie alle Dickens und Shakespeare verabscheuen, weit entfernt davon, sondern weil sie überzeugt sind, dass die Bibliothek nichts Einmaliges von diesen Schriftstellern besitzt und sie nichts Unersetzliches vernichten. Dickens und Shakespeare, schlussfolgern sie, sind überall vorhanden, weil ihre Werke millionenfach reproduziert worden sind.
Der blinde Wissenschaftler kann während seiner Gefängnishaft nicht lesen, weil es in der Bibliothek keine Bücher in Braille gibt, deshalb lesen ihm die anderen Gefangenen abwechselnd vor und er stellt fest, dass er glücklicher ist als jemals zuvor in seinem Leben. Er muss sich nicht mehr um Veröffentlichungen kümmern oder um den Einkauf und die Zubereitung von Nahrungsmitteln und er muss nicht mit den Fingerkuppen lesen. Er wartet froh darauf, dass ihm Essen gebracht, Bücher vorgelesen, ein Bett aus Leder und Filz, die von den Bibliothekstischen abgezogen wurden, bereitet wird. Die anderen Gefangenen erbitten von den Wärtern Papier und Tinte im Tausch gegen pornografische Bücher aus dem 18. Jahrhundert, die sie in der Sammlung seltener Bücher entdeckt haben, und lassen sich vom blinden Wissenschaftler diktieren oder fangen an, selbst zu schreiben.
Als die reaktionäre, banausische Regierung schließlich gestürzt wird, wie es die Geschichte von Anfang an als unausweichlich nahelegt, werden die in den Bibliotheken und Museen eingesperrten Gefangenen befreit. Der blinde Wissenschaftler jedoch bittet darum, am Ort seiner Gefangenschaft bleiben zu dürfen. Seine früheren Mitgefangenen setzen sich für ihn ein und die neue Regierung stimmt zu, dass für ihn eine kleine Zelle in einer Ecke des Lesesaals errichtet wird, wo er gegen seinen Willen so viele glückliche Jahre verbracht hat. Seine Freunde sorgen für ihn, bringen ihm zwei Mahlzeiten pro Tag (um jenes den Geist schärfende leichte Hungergefühl zu erhalten), lesen ihm abwechselnd vor und lassen sich von ihm diktieren. Nachts schließen ihn die Wächter ein und er schläft tief, lauscht dem Schweigen der Bücher, die ihn umgeben und nichts von ihm erwarten, außer dass er zuhört, wenn sie sprechen.«
Greg lächelt, als Dylan singt, »l, m, n, o, p«. »Das ist sehr gut, mein Junge«, sagt er und schüttelt über mich den Kopf; seine Aufmerksamkeit ist immer gespalten. »Weißt du, was ich denke, Sam? Es ist nicht gesund, so besessen zu sein.«
»Bin
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