Absolution - Roman
ich besessen?«
»Du weißt alles über Wald, was man wissen kann. Du kennst ihre Werke in- und auswendig.«
»Aber das ist meine Arbeit. Ich habe eingewilligt, dieses Buch zu schreiben. Es war nur natürlich, dass die Wahl dafür auf mich fiel, auch wenn ich der Einzige bin, der das weiß.«
»Und du siehst kein ethisches Problem darin?«
»Das lasse ich nicht zu – ich versuche, mich nicht davon beeinflussen zu lassen. Ich versuche, unvoreingenommen zu sein. Ich weiß, wie man objektiv ist.«
»Ich an deiner Stelle könnte das nicht. Wenn das mir zugestoßen wäre. Wenn sie mir das angetan hätte, was sie dir angetan hat, in Anbetracht der Umstände, in Anbetracht des Zustandes, in dem du damals offensichtlich gewesen bist – das heißt, ich kann nur mutmaßen, in welchem Zustand du gewesen sein musst.«
Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Einerseits hat Greg recht – an meiner Rolle bei diesem Vorhaben ist etwas Unethisches. Ich weiß aber nicht, wie ich mich anders hätte entscheiden können.
ABSOLUTION
Clare schaltete den Monitor ein und stellte fest, dass derselbe Dienstwagen, der schon einmal da gewesen war, auf der Straße vor ihrem Tor wartete. Ms Whites Gesicht in Schwarz-Weiß starrte unbeirrt in die Linse. Es war acht Uhr abends und Clare konnte sich nicht mehr erinnern, wie viele Wochen oder Monate seit dem letzten Besuch der Frau vergangen waren; vielleicht drei Wochen, vielleicht sechs Monate oder ein Jahr oder mehr. Clare drückte den Knopf der Gegensprechanlage.
»Sie kommen zu ungünstiger Zeit. Ich will gerade zu Bett gehen«, sagte sie und schaltete das Flutlicht am Tor an. Ms White hob die Hand, um ihre Augen vor der Lichtfülle zu schützen, und drückte auf den Knopf an ihrem Ende der Sprechanlage.
»Wir haben eine Gruppe von Verdächtigen in Ihrem Fall, Madam. Es wäre jetzt günstig, wenn Sie mitkommen und sie in Augenschein nehmen könnten.« Es war das erste Mal, dass Clare die Gegensprechanlage benutzt hatte; sie war überrascht, wie deutlich sie war, wie Ms White sich anhörte, als stünde sie im Zimmer neben ihr, körperlos.
»Es wäre jetzt nicht günstig.«
»Jetzt ist es günstig für mich und für die Verdächtigen«, sagte Ms White.
Die Straßen waren ruhig, daher waren es zwanzig Minuten Fahrt von Clares Haus zum Backsteingebäude der Regierung im Stadtzentrum, in der Nähe des alten Kastells und des Hafens. Unterwegs schwieg Ms White. Sie fuhren durch den schmalen Torbogen auf der Parade Street in den Gebäudekomplex und parkten im Vorhof, der voller Autos stand, obwohl es bei ihrer Ankunft fast schon neun Uhr war. Der Fahrer öffnete die Tür und Ms White führte sie ins Gebäude und zwei Treppen hinauf in einen gewöhnlichen Bürokorridor. Männer und Frauen schritten flott und schweigend mit Akten unter dem Arm zwischen Büros hin und her, den Blick starr zu Boden gerichtet. War die Behörde so geschäftig geworden? Ms White führte Clare ans Korridorende und in einen Besichtigungsgang, wo eine verspiegelte Trennscheibe sie in den Gegenüberstellungsraum sehen ließ.
Ein Dutzend Männer unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Größe, Konstitution und Rasse wurden in den Raum geführt. Ms White forderte alle nacheinander auf vorzutreten.
»Dieser da?«, fragte sie Clare.
»Ich habe Ihnen doch gesagt«, antwortete Clare mit vor Ungeduld brüchiger Stimme, »dass die Einbrecher alle Kapuzen und Gesichtsmasken trugen – Skimasken, Sturmhauben ohne Augenschlitze … ein Netzgeflecht statt Augenschlitzen. Auch Handschuhe, langärmlige Hemden, Rollkragenpullover. Ich konnte ihre Haut nicht sehen. Ich weiß nicht, was für Typen sie waren. Ich weiß nicht einmal definitiv, dass es Männer waren.«
»Dieser da?«, fragte Ms White ungerührt.
»Ich hab es Ihnen doch schon gesagt«, jammerte Clare, zunehmend aufgebracht. »Warum hören Sie mir nicht zu?«
Ms White blieb unbeeindruckt, geduldig wie eine gute Mutter mit einem aufsässigen Kind. »Dieser da?«
»Das ist eine absurde Veranstaltung. Ich begreife nicht, was das soll«, rief Clare aus und hieb mit der Faust gegen den Stuhl, sodass sie sich verletzte. »Sie haben Leute hierhergebracht, die keinerlei Ähnlichkeit miteinander haben. Für mich ist das keine normale Gegenüberstellung. Und es ist sowieso sinnlos, mir irgendjemanden zu zeigen. Ich habe nichts erkannt, was weiterführen könnte. Sie waren alle schwarz gekleidet und es war Nacht, deshalb könnte nicht einmal eine Beschreibung ihrer
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