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Absturz

Absturz

Titel: Absturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gstaettner
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Entscheidung. Zunächst redet er lang und breit über das hohe Niveau der eingereichten Arbeiten, darüber, dass eigentlich alle den Sieg verdient hätten, bekennt sich dann aber zur Losung  Lieber rüstig als rostig  und nennt Max beim Namen. Max hat gewonnen! Der bekannte Mundartdichter zieht pikiert ab, und mit ihm ein beträchtlicher Teil des Publikums, vor allem die älteren Herrschaften. »Rostig« – das muss er sich von so einem jungen Hupfer nicht sagen lassen! Max darf das erste Mal in seinem Leben ein Interview für das Regionalradio geben, und auf die Frage des Redakteurs, was Max denn mit dem Preisgeld zu tun gedenke, rechnet der ihm vor, das Preisgeld betrage umgerechnet hundert Stelzen. Eine Zeit lang bleibt ihm jetzt der Hungertod erspart.
    Der Roman bleibt trotz des Preises unveröffentlicht. Der Radioliteraturchef produziert aber etliche Funkerzählungen für den Sonntagvormittag und auch ein Hörspiel von Max, der also, wie in seinem Roman prognostiziert, das erste bisschen Geld mit seinem  Geschreibsel  verdient und sehr stolz darauf ist. Später verliert der Literaturchef sein Interesse an Max wieder, er verliert auch einen Teil seines Budgets, verfällt dem Alkohol und stirbt ein gutes Dutzend Jahre später an einer Leberzirrhose, knapp über fünfzig Jahre alt. Die Literaturabteilung des Regionalradios wird eingestellt.
    So. Die Zähne sind repariert, die faule, ruinöse Natur am Kiefer durch strahlende Kunst ersetzt (leider zwickt und sticht und drückt die Kunst und schneidet ins eigene Fleisch), die Frau ist gefunden (fürs Leben? Fürs Heiraten? Fürs Scheiden? Das wird sich noch herausstellen), das Studium so autistisch wie möglich absolviert. Der junge Herr heißt Magister, später Doktor gar, na gratuliere, gratuliere, mein Lieber!
    Aber der junge Herr legt doch großen Wert darauf, anders als die anderen zu sein, absichtlich schäbig, absichtlich verwahrlost, absichtlich gegen jede Mode, absichtlich traurig, absichtlich angeekelt. Mit großem Stolz auf seine Inferiorität berichtet der junge Mann, wie er zur akademischen Sponsionsfeier in Bluejeans auf die Uni kommt, seinen Maturaballanzug im Plastiksack tragend, der ihm im Lauf der Jahre sicher um zwei Nummern zu klein geworden ist; wie er sich vor der Sponsionsfeier auf der Universitätstoilette umzieht, sich in den Maturaballanzug und in die mittlerweile zur Hochwasserhose verkommenen Anzughose hineinquetscht, die freie Sicht auf seine Tennissocken lässt. Wie er die Buffetfrau bittet, ihm seine einzige – schwarze – Krawatte zu binden, eine Zwangsanschaffung für das Begräbnis seiner lieben Großmutter vor fünfzehn Jahren. Krawattenbinden kann und will und wird er selber nicht.
    Der junge Mann glaubt, auf diese Weise vom Rektor magnificus abwärts über Dozenten und Assistenten bis zu seinen herausgeputzten Studienkollegen und frischgebackenen Mitakademikern allen zu zeigen, wie abgrundtief er sie und ihr Treiben, ihren Glauben, ihr verlogenes Geisteswissenschaftsblabla und ihre unfassbare Aufgeblasenheit und Hochnäsigkeit verachtet und gering schätzt.  Ihr Menschen, ihr Ungeheuer! , sollte diese Garderobe heißen. Das Philosophiestudium hat dazu geführt, mit der Philosophie für den Rest seines Lebens zu brechen und Schluss zu machen. Er verachtet die Wissenschaft, wie er die Religion und die Politik verachtet. Er verachtet die Wissenschaft wie jede übergeordnete Instanz, die sein Heiligtum, sein Leben regeln und befrieden und einpassen will. Offenbar ist die Geringschätzung und Verachtung bei den Empfängern aber nie angekommen und als unzustellbar zurück zum Absender geschickt worden. Höchstens hat man den jungen Mann aufgrund seiner mangelhaften Garderobe für sonderbar und geschmacksarm gehalten.
    Und was ist aus Max geworden? Lange nichts gehört und lange nichts gelesen! Es scheint, als hätte sich der junge Mann Max in der Zwischenzeit ganz einfach einverleibt, als sei Max in Wirklichkeit von Anfang an nichts anderes als Jan Philipp Möllers literarisches Alter Ego gewesen. Als der junge Mann im Ekelvollrausch von seiner Sponsionsfeier heimkommt, liegt im Briefkasten ein Brief von der Feuilletonredaktion der renommiertesten und berühmtesten Zeitung der Republik. Der Redaktionschef bedankt sich für das Manuskript und freut sich mitzuteilen, es demnächst publizieren zu wollen. Ja! Jawohl! Darum geht es! Eine ganze Seite würde Philipps Manuskript in der Wochenendbeilage füllen, hübsch illustriert. Eine

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