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Absturz

Absturz

Titel: Absturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gstaettner
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Häuschen im Schatten eines mächtigen Kirschbaums, den man schon von Weitem sieht, und löst Kreuzworträtsel, während die Mutter in der Küche arbeitet. Fünfunddreißig Jahre lang hat der Vater der Mutter seine unüberbietbare Ungeschicklichkeit in allen Haushaltsangelegenheiten demonstriert: Er stolpert in die Küche, verschüttet eine Tasse Kaffee, zerbricht ein, zwei Teller und fragt die Mutter, ob er ihr helfen, also zum Beispiel das Geschirr abtrocknen soll. ›Gott bewahre, nein‹, gibt die Mutter zurück, › du richtest mehr Schaden als Nutzen an. Geh nur in den Garten und löse dein Kreuzworträtsel!‹ – ›Dein Wille geschehe‹, sagt der Vater, ›dein Wunsch ist mir Befehl!‹ In seiner Kreuzworträtselleidenschaft hat der Vater im Lauf der Jahre bestimmt schon etliche Romane geschrieben, also Bücher mit Buchstaben gefüllt, nur eben nicht Zeile für Zeile und Seite für Seite, sondern kästchenweise, waagrecht und senkrecht. Er wird nie abgelehnt. ›S’ ist wohl nur Chimäre‹, meint der Vater schmunzelnd und winkt mich zu sich, als er mich am Gartenzaun stehen sieht, ›aber mich unterhalt’s!‹ Die Mutter hat Kaffee gekocht, und zur Feier des Tages – hoher Besuch vom eigenen Sohn! – holt sie sogar das Meißner Porzellan aus der Vitrine. Wie es mir geht und was es Neues gibt? Die Mutter ist meine treueste Leserin. Sie ist die erste Käuferin, wenn ein Buch, die erste Leserin, wenn eine Geschichte in der Zeitung erscheint.« (So wie Max nicht verheiratet ist, hat auch noch keine Redaktion eine Geschichte, noch kein Verlag ein Buch von ihm veröffentlicht. Aber ein Erzähler wird doch wohl erfinden, ein Schriftsteller träumen und einen Roman schreiben dürfen, der in der Zukunft spielt. Werde, was du schreibst! Real ist nur, was hinter dir liegt!)
    »Mittlerweile«, liest Max, »sind die Verspottungen meines  Geschreibsels  längst vergessen. Das Familienklima hat sich gebessert, seit die Familienmitglieder nicht mehr alle unter einem Dach leben. Mittlerweile sagt die Mutter nicht mehr, dass ihr ein Wirtschaftsexperte oder ein Rechtsanwalt lieber wäre als ein hoffnungsloser, verwahrloster, mittelloser Künstler. Sie redet auch nicht mehr auf mich ein, aus meinen Träumen aufzuwachen, meine  Spintisierereien  bleiben zu lassen und gegen meine Weltfremdheit anzukämpfen. Fast scheint es jetzt in der Kirschgartenidylle, als hätte die Mutter die Hochseilakte und halsbrecherischen Künstlerkarrierepläne des Sohnes stets mitgetragen. Aber tatsächlich war das ein wenig anders: Ich habe noch immer den stereotypen Vorwurf im Ohr,  ein Versager auf allen Linien  zu sein. Täglich sah mich die Mutter beim Schreiben, beim Verschicken des Geschriebenen und beim Warten auf die Begutachtung des Geschriebenen. Ich tat ja wirklich nichts anderes als zu schreiben, zu warten und während des Wartens wieder zu schreiben und während des Schreibens wieder zu warten. Diese Existenz hielt die Mutter für verschwendete, für sinnlos vertane Zeit, die sie weder finanzieren wollte noch konnte.
    Jedes Mal, wenn bei meiner Post das Paket eines Verlags lag, war ihr klar, dass darin nur ein abgelehntes Manuskript liegen konnte. Nur ein dünner, kleiner, leichter Brief hätte eventuell auf eine Annahme schließen lassen. Wer aber ständig abgelehnt wird, muss offenbar Unfug machen. Er sollte den Unfug schleunigst bleiben lassen und  im eigenen Interesse  lieber etwas Vernünftiges versuchen. Er sollte schauen, irgendwo  unterzukommen , sich  sein eigenes Brot zu verdienen , anstatt  den Eltern auf der Tasche zu liegen . Die damaligen Absagen bestätigten die mütterliche Totalversagertheorie, wie die heutigen Erfolge ihre Fleischundbluttheorie bestätigen. Der Vater hingegen bleibt in seinen Anschauungen konstant. Goethe, Busch und Eichendorff sind Dichter, und danach hört die Literatur auf, Punkt, basta, und sie fängt auch dadurch nicht wieder an, dass sein Sohn in die Tasten der Schreibmaschine klopft. Heute regiert die Literaturmafia, und von der lässt sich der Vater gar nichts sagen: Fäkalausdrücke, Geschlechtsverkehr, und immer das Wühlen im Negativen: Das braucht er nicht. Die heutigen Schriftsteller können nicht mehr erzählen. Also will er sie nicht mehr lesen. Außerdem fehlt ihm dazu die Zeit, und abends, wenn er  von des Tages Mühen  müde und erschöpft ist, will er sich unterhalten und erbauen lassen. Ernüchtern und deprimieren und vielleicht noch kritisieren lassen will er sich

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