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Absturz

Absturz

Titel: Absturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gstaettner
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dieser und der Anfang einer anderen Republik oder überhaupt einer anderen Herrschaftsform. Das waren noch Zeiten, als man Republiken für unvergänglich und Atlanten für mehr oder weniger endgültig hielt. In Wirklichkeit ist mein Mittelschulatlas heute ein Märchenbuch, in Wirklichkeit purzeln Republiken immer über Lächerlichkeiten und werden von winzigen Details zu Fall gebracht. Ein falsches Händeschütteln, und der Minister stürzt ein, und der einstürzende Minister reißt den Bundeskanzler mit sich, der Bundeskanzler reißt den Bundespräsidenten mit sich, der Bundespräsident reißt die Republik mit sich fort, und schon ist die Welt verändert und der Atlas antiquarisch.
    Sofort wird eine Konferenzschaltung vom Fernsehzentrum ins Landesstudio und ins Wahllokal gelegt und der unentschlossene Wähler durch die Trennwand hindurch interviewt. Zur Frage des Zeithorizonts wolle und könne er sich noch nicht äußern, sagt er, er sei sich als Einsiebenkommafünfmillionstelsouverän der ihm übertragenen Verantwortung, die vergleichsweise tonnenschwer auf seinen Schultern laste, voll bewusst, sagt er. Die zur Wahl stehenden Spitzenkandidaten selbst hätten bei ihren Wahlveranstaltungen immer wieder ausdrücklich betont, von welcher Bedeutung jede einzelne Stimme in Hinblick auf die nächsten Jahre und Jahrzehnte für das Schicksal dieses Staates, und das heißt: für uns alle ist. Nach vergeblichen Appellen ranghoher Funktionäre, sich doch endlich zu entscheiden, ganz egal wie, und also dieser Absurdität ein Ende zu bereiten, begeben sich nun die Generalsekretäre, das sind die Muttertagsgedichte der Parteien, persönlich an den Untatort und diskutieren vor laufender Kamera die aktuelle Entwicklung miteinander. Untereinander sind die Muttertagsgedichte bekanntlich Hasstiraden. Nachdem sie die ursprüngliche Vermutung, es handle sich bei diesem ungebetenen Zauderer und Zögerer, bei diesem  Un täter um einen albernen Spaßvogel, um einen Wichtigtuer und Quertreiber und Queraussteiger, um einen renitenten Klienten, um ein subversives Element, um einen Billig-Bakunin, aus taktischen und strategischen Überlegungen unisono zurückgewiesen haben, schütten sie nun demonstrativ Lob in die Wahlzelle. Dieser Mann sei das Musterbeispiel des mündig gewordenen Wählers, er verkörpere geradezu Gewissenhaftigkeit und politische Kultur, er lege ein eindrucksvolles Bekenntnis zu unserer Demokratie ab, auch der Bundeskanzler und der Oppositionsführer seien dieser Meinung. Es herrsche noch keinerlei Grund zur Panik, dieser wertvolle Staatsbürger werde sich über kurz oder lang für das  Bessere  entscheiden. Sie sind für ihn, weil er gegen sie ist, er sagt, was wir denken. Durchaus denkbar, diesem wertvollen Wähler Verdienste um die Parteien und die Republik anzubieten, eine verantwortungsvolle Tätigkeit, eine Spitzenfunktion, einen Ehrentitel, ein Denkmal, eine Goldbüste, Händeschütteln, so viel er will. Vorderhand freilich bleibt die erste Hochrechnung geheim, vorderhand drohen anarchische Zustände, vorderhand schalten die Kabelfernseher zu  Wa(h)re Liebe  um, heute: Potenzprobleme in der Peepshow et cetera.
    Aber diese meine Idee wurde von der Idee durchkreuzt, eine Geschichte zu schreiben, wie einer zeitgeschichtlich und gesamtpolitisch sehr bedenklich in der Badewanne sitzt, mit Lautstärke sechs Rossinis  Il Barbiere di Siviglia  hört und Ludwig Marcuses  Philosophie des Glücks  liest. Leider dringt er aber nicht einmal bis zu den Epikureern vor, denn bei  Largo al factotum della città  fängt er vor lauter Orgasmus zu dirigieren an, Marcuse plumpst ins Schaumbad und scheidet aus. Ja, entscheiden müsste man sich können.
    Dann noch die Geschichte, wie ich gleichzeitig Ginka Steinwachs lese und das Wimbledonfinale Agassi : Ivanisevic schaue, wobei übrigens das ganze Wimbledonfinale lang weder Agassi noch Ivanisevic noch ich daran denken, dass Schopenhauer einmal in Wimbledon gelebt hat, vielleicht weiß es auch Ginka Steinwachs nicht, vielleicht ist es auch völlig irrelevant, ich denke nur an den kulturellen Horizont im Allgemeinen. Punkt Agassi, ein Satz Steinwachs, Punkt Ivanisevic, ein Satz Steinwachs, Punkt Agassi, ein Satz Steinwachs, Punkt Agassi, ein Satz Steinwachs, Punkt Ivanisevic, ein Satz Steinwachs, Spiel Agassi, das funktioniert. Agassi ist der Künstler, Ivanisevic das Monster, Steinwachs meint,  die Moderne beginnt als Weltliteratur mit dem Pars-contra-totum-Gedanken, stellen

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