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Absturz

Absturz

Titel: Absturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gstaettner
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stattdessen Cevapcici, Pommes frites, grünen Salat und am Ende ein schreckliches Gewitter. Mit all dem wollte der junge Mann sagen: Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer! Euer Theater ist gelogen! Euer Theater taugt nicht und wirkt nicht! Euer Theater ist nichts wert! Ich will ein anderes Theater machen! Aber das hat niemand so gehört und verstanden.
    Aber wenn nun einer kommt und sagt: Ein Schriftsteller ist mit der Literatur verheiratet! Ein Schriftsteller muss frei sein wie der Wind! Erhaben über die Zwänge einer bürgerlichen Existenz! Wenn einer kommt und sagt: Das mit den Frauen geht doch nie gut! Was sagst du dann?
    Dann sage ich: Lieber Herr, der Wind ist nicht frei! Nichts ist so unfrei wie der Wind! Der Wind ist ein Getriebener. Der Wind hat keine Wahl. Der Wind ist keine Kunst. Und ich sage: Doch! Auch ein Schriftsteller kann verheiratet sein. Nur wenn er schreibt, ist er nicht verheiratet. In dem Moment, in dem er schreibt, ist er ledig. Einsam. Allein. Parteilos. Heimatlos. Ungläubig. Zeitlos. Das ist die Grundbedingung. Sonst ist das Geschriebene nichts wert.
    Bei sich sein: Allein sein. Einsam sein. Das ist etwas ganz Großartiges, mein Herr! Schlimm und wortwörtlich lebensbedrohlich ist nur die Unbeholfenheit in der Einsamkeit, die man für die Einsamkeit selbst hält. Die Einsamkeit ist ein völlig leeres Stadion: eine Pracht! Das Spiel macht man sich am besten selber. Dass man zum Schreiben Ruhe braucht, ist immerhin keine sensationelle Neuigkeit. Die Ruhe muss und kann man sich schaffen. Lärmende Kinder, zänkische Frauen: zwei Stockwerke tiefer! Viel schwieriger ist es mit der Rücksichtnahme beim Ausschlachten. Da hilft nichts. Wer mit einem wie dir lebt, muss wissen, was ihm blüht. Und Unwissenheit schützt vor literarischen Folgen nicht. Aber Schreiben und Publizieren sind zwei verschiedene Vorgänge in zwei verschiedenen Situationen und passieren zu verschiedenen Zeiten. Zwischen Schreiben und Publizieren können mitunter Jahrzehnte vergehen. Schrecksekunden, Schreckjahrzehnte: kein Unterschied. Das ist nicht verwerflich. Und eines Tages wird eine höhere und tiefere Wahrheit aus dem, was schon lang nicht mehr wahr ist.

3
    E igentlich wollte ich – literarisch gerade wieder einmal frei geworden, was ein nervlich strapaziöser und auf Dauer wenigstens mir unausstehlicher Zustand ist – die Geschichte eines  mündigen Staatsbürgers  schreiben, der nach einem langen Wahlkampf in der Wahlzelle plötzlich von einer akuten Unentschiedenheit gepackt wird. Denn er hält alle Parolen und Versprechungen und Gesichter aller Kandidaten aller Parteien gegeneinander und weiß partout nicht, in welchen Kreis er sein Kreuz machen könnte: eine Prosa übrigens, die deutliche autobiografische Züge enthalten soll; immerhin sagt eine meiner wenigen Literaturtheorien, dass meine Existenz von Haus aus derart dramatisch ist, dass ich keine andere benötige und nichts erfinden muss. Ich muss nur Ordnung  schaffen . Ich kann von meinem Leben leben.
    Weil er trotz der dringlichen Aufforderungen der Wahlhelfer der Parteien die Wahlzelle stundenlang nicht wieder verlässt mit der Begründung, eine solche Wahl sei eine heikle Angelegenheit und die gründlichste und genaueste Überlegung daher ein unerlässlicher Sachzwang, ungeachtet des sicher stimmigen Einwands, dass zunehmende Gründlichkeit und Genauigkeit dieser Überlegung eine daran anschließende Entscheidung für einen der Spitzenkandidaten, denen von der Meinungsforschung seriöse Gewinnchancen zugebilligt werden, keineswegs vereinfache, sondern im Gegenteil erschwere und verunmögliche, wird bald nicht nur die Warteschlange außerhalb der Wahlzelle, sondern auch das Fernsehen und damit das gesamte Bundesgebiet auf den  Wähler  aufmerksam, denn der Fernsehmoderator muss der am Höhepunkt der Hochspannung befindlichen Bevölkerung eingestehen, dass die für siebzehn Uhr angekündigte Hochrechnung, die das für das politische Leben der nächsten Jahre oder gar Jahrzehnte so richtungweisende und bedeutsame und mit einem Wort entscheidende Endergebnis der Wahlen erfahrungsgemäß mit verblüffender Exaktheit vorwegnimmt, nicht ausgestrahlt werden könne, obwohl sie natürlich bereits vorliege, aber erst veröffentlicht werden dürfe, sobald das letzte Wahllokal geschlossen habe. Ein einziges Wahllokal habe aber unvorhergesehen noch offen und könne bis auf Weiteres auch nicht geschlossen werden, ein Unikum in der Geschichte der Republik, vielleicht das Ende

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