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Absturz

Absturz

Titel: Absturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gstaettner
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vielleicht hat er es – so oder anders – ja tatsächlich auch irgendwann irgendwo selbst erzählt.
    Außerdem provozierte eine von meiner Hand verfertigte Tirade Arthur Schopenhauers über Johanna Schopenhauer geradezu eine von der Hand meiner Frau verfertigte Tirade Johannas über Arthur und dessen Johannatirade, alles schon da gewesen, und Frauen halten zusammen, es sei denn, sie wollen den gleichen Mann. Nach einem Fehlstart im Säuglingsalter ist das Alter Ego meiner Frau auf der wilden Jagd nach einem existenziellen Gesamtorgasmus. Neben einem Skeptiker wie meinem Alter Ego wird dem Alter Ego meiner Frau schlecht wie neben einer Müllhalde. Ich fürchte, unter unseren Alter Egos leidet die Hausarbeit besonders. In unserem Fall leidet die Hausarbeit mehr an uns als wir an der Hausarbeit. Ein Dichter hat mit rückdichtenden Dichtersfrauen zu rechnen: Es geht in unserer Mansarde zu wie bei Agassi gegen Ivanisevic, und wir sollten uns einmal einigen, wer wer ist.
    Wenn wir junges Unglück in Literaturfragen oder Haushaltsangelegenheiten uneins sind und vom Gesamtorgasmus trotz Rossini keine Rede sein kann, erzeugt meine Frau beim Türenschließen enorme Geräusche, und der Mansardenschiffsboden knarrt aufgrund ihrer energischen Märsche durch die Wohnung. Es existieren viel zu viele Türen in unserer Mansarde. Türen wie bei einer Boulevardkomödie: Tür auf. Tür zu. Tür auf. Tür zu. Jeder einzelne Raum ist mit jedem anderen durch eine oder sogar zwei Türen verbunden. In einem fort gehen diese Türen akustisch bombastisch auf und zu, eine durchaus praktikable Methode nonverbaler Kommunikation: Ich weiß, was mir Emma auf diese Weise sagen will, aber auf diese Weise habe ich keine Antwort. Vor der Hochzeit konnte ich noch ohne Ohrenstöpsel dichten, und wenn man die Reihenfolge der rhetorisch zugeschlagenen Türen rekonstruiert, zeigt sich, dass der Weg meiner Frau durch die Wohnung nach nirgendwo führt. Schon der Vater wurde beim Lärm zugeschlagener Türen immer ärgerlich und ungehalten, was er dadurch zum Ausdruck brachte, dass er am Nasenbein zu schwitzen begann. Zeigten sich Schweißperlen am Nasenbein des Vaters, wusste man gleich: Jetzt wird es ernst! In jeder Tür schlummert eine arme Seele, sagte er. Die Seelen in unserer Mansarde haben bestimmt alle schon einen Dachschaden! Ein Bühnenbild aus unzähligen frei im Raum stehenden Türen, die immer wieder auf- und zugeschlagen werden, sodass es die Monologe aus den armen Seelen nur so herausbeutelt, das stelle ich mir dramaturgisch innovativ vor. Alles kann zu Kunst werden, das ist das Schöne am hässlichen Leben und das Glück im Unglück. Aber umgekehrt genügte ein Schlüssel, um das ganze Drama in sich zusammenbrechen zu lassen.
    Vielleicht sollte man gar nichts mehr schreiben, nachdem man einmal etwas geschrieben hat. Camus erzählt von einem jungen Dichter, der sich nach Vollendung seines ersten Buches umgebracht hat, um die Aufmerksamkeit auf sein Werk zu lenken. Die Aufmerksamkeit wurde tatsächlich erregt, das Buch aber verrissen. Die Frage, warum einer schreibt, ist grundsätzlich falsch gestellt. Man sollte nach dem Gegenteil fragen: Welche Seelensäuberungsmöglichkeit bevorzugen denn Sie? Was? Sie säubern Ihre Seele gar nicht? Sie gehen einfach mit der schmutzigen Seele schlafen? Sie Ferkel! Den Journalisten, die bei der Kellertheaterpressekonferenz wissen wollten, warum ich mein erstes Drama geschrieben habe, erzählte ich von einem Gelübde: Ich sei während einer Bootsfahrt von einem schrecklichen Gewitter überrascht worden und hätte gelobt, ein Drama über den lieben Gott zu schreiben für den Fall, dass kein Blitz in mich einschlägt. Die Journalisten haben in ihren Artikeln über die göttliche Fügung nicht ein Wort verloren, nicht einmal der von der Kirchenzeitung.
    Trotz Schopenhauer und Schopenhauerin bin ich gar kein Misanthrop in pragmatischer Absicht. Dann und wann, und wenn mir mein eigener Saft zu dünn zu werden droht, hätte ich Lust, große Stoffe zu bearbeiten und auf den letzten Stand zu bringen:  Hiob heute  etwa,  Faust für Fortgeschrittene ,  Der Mann im Tourismusbüro von La Mancha, Die Wahlverwandtschaften gehen in den Swingerclub  oder  Simplicius Simplicissimus transzendiert seine Einkommenssteuererklärung . Außerdem könnte man fallweise ein tiefes, ernstes Wort an die Menschheit richten, das sie begeistert und edler und größer macht. Mir schwebt ein  Largo al factotum della città  singender

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