Absturz
auffordern.
Schlimmer als alles Übrige in meinem dreißigsten Jahr aber ist der Abstieg der Austria aus der Ersten Bundesliga in die Zweite Bundesliga und dann der geradezu grauenhafte Abstieg, der Absturz aus der Bundesliga in die Landesliga. Kein Intellektueller hat sie begleitet. Wohin jetzt mit meinen Samstagnachmittagen? Ist Literatur denn nicht das lebenslängliche Auskunftgeben über die Verletzungen der Provinz? Seit dreißig Jahren, zeit meines Lebens ist das Schifferl nicht mehr so tief gesunken. Dabei beneidet uns die ganze Welt um unsere Gene! Aber sobald sie denken können, denken die Gene an Flucht und machen durch ihre Flucht die Provinz zur Provinz. Mein neuer Wiener Verleger (jetzt hab ich einen, heureka!) fragt an, was denn mit einem selbstironischen Heimatroman wäre, Aus dem Leben Glawutschnigs , etwas in der Art. Es war einmal ein Mittelstürmer, der hieß Glawutschnig, und es war eine große Zeit, als der kleine Glawutschnig mittelstürmte. So wie ich von meinem Wiener Verleger ist auch Glawutschnig ins Nationalteam einberufen worden, nur anders: Bei mir war’s die Seele, bei ihm der Körper, vor allem das linke Bein. Glawutschnig hat unserer kleinen Stadt mit seiner sensationellen Einberufung ins Nationalteam zu Bekanntheit und Berühmtheit im ganzen Land verholfen! In der Zeitung stand über Glawutschnig, er habe sich selbst zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt. Aber es muss ein unsichtbares Denkmal gewesen sein, oder es ist gleich nach der Setzung wieder gesprengt worden. Traurig und schade! Meine Samstagnachmittage teilte ich ein in den Konditoreibesuch vor dem Stadionbesuch, den Stadionbesuch und den Konditoreibesuch nach dem Stadionbesuch. An einem kalten Novemberabend in Wien war der kleine Glawutschnig ein wahrhaft großer Österreicher und ein edler Ritter, wenn auch nur eine Halbzeit lang. Dann haben ihm die Türken das Knie und die Karriere und die Identität zertrümmert. Sein erstes Länderspiel war auch schon wieder sein letztes. Im Bekanntenkreis ging noch Jahre nach der Operation das Gerücht, Glawutschnig könne keinen Mülleimer mehr umspielen. Glawutschnig hat diese infame Anschuldigung nicht auf sich sitzen lassen und den Gegenbeweis erbracht. Glawutschnig hat öffentlich einen Mülleimer umspielt. Pressefotografen und ein Gerichtssachverständiger waren dabei. Ich möchte viele Länderspiele spielen.
Alles, was hoch war, ist schleunigst niedergegangen. In der kürzesten Zeit war vergessen, wohin genau sich Glawutschnig sein Denkmal gesetzt hat und wie es aussieht. Wie ein Goldknie sieht es jedenfalls nicht aus, und am Hauptplatz anstelle des steinernen Ungetüms oder des rückenschrubbenden Turners oder der dicken Kaiserin steht es auf keinem Podest. Glawutschnigs Knie hat Glawutschnig in der Versenkung verschwinden lassen, Glawutschnig die ganze Mannschaft, die Mannschaft den ganzen Verein, der Verein die ganze Stadt, die Stadt das ganze Land, und schon war die Welt verändert. Wie immer natürlich zum Schlechten. Der Konditoreibesuch davor heißt heute Countdown , der Konditoreibesuch danach Analyse , und es werden keine Mehlspeisen mehr serviert.
Das Kellertheater ist klein, und groß ist auch das Honorar nicht gerade. Aber immerhin: Es gibt eines, und ich war schlau genug, mir die erste Rate vom Theaterleiter, einem begnadeten Wedekind-Darsteller auf und hinter und jenseits der Bühne, am Nachmittag vor der Premiere im Theatercafé auszahlen zu lassen mit der Androhung, mich anderenfalls während der Vorstellung auf die Bühne zu stellen und coram publico und vor allen Journalisten mein Honorar einzufordern. Sonst hätte ich es wohl nicht bekommen. Obwohl es zehn volle Jahre gedauert hat, bis mein erstes, anlässlich meines Zwanzigers geschriebenes Drama uraufgeführt worden ist, waren die Premiere und auch die folgenden fünf Aufführungen restlos ausverkauft: Mehr Leute als beim Dreißiger und beim Siebziger zusammen. So viele Bekannte kann man gar nicht haben. Eines Tages möchte ich sagen können: Wenn man bekannt ist, braucht man keine Bekannten. Freilich hatte ich niemals Lust gehabt, Dialoge mit Turnübungen zu garnieren und auf der Bühne irgendwelche Leute irgendetwas reden zu lassen, damit am Ende eine Lebensweisheit herauskommt. Die Tageszeitungen konnten sich nicht zwischen einem brisanten Stück in hausbackener Inszenierung und der ambitionierten Inszenierung eines langweiligen Stückes entscheiden. Einhelliges Lob galt den diabolischen Dessous
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