Absturz
Hiob vor, außerdem Faust gegen Ivanisevic, und letzten Endes sollte ein leicht resignativer Ton über meiner Prosa liegen.
Mein Dreißiger und Papas Siebziger fallen ins selbe Jahr: Da drohen Großveranstaltungen! Die Mutter hat die größten Schwierigkeiten bei der Organisation des großen Rahmens, in dem wir Papas Siebziger begehen wollen. So eine große Stadtpersönlichkeit! So ein bedeutender Mann! Aber vom großen Rahmen des Sechzigers ist mittlerweile gut ein Viertel verstorben, Krebs und Herzinfarkt und Herzinfarkt und Krebs, und das wäre doch ein unerwünschter Anlass zur Nachdenklichkeit anlässlich des Siebzigers. Wer sitzt neben wem? Und warum? Wenn einer sein siebzigstes Jahr vollendet hat, wird man nicht aufhören, ihn jung geblieben zu nennen. Er selber aber hat im Lauf seiner Junggebliebenheit zu viele andere gebrechliche jung Gebliebene jung geblieben genannt, um sich noch ernstlich für die Gratulationen der Realitätsverweigerer seiner Generation erwärmen zu können. Ihm ist, als stünde es ihm nicht mehr zu, sich für jung geblieben auszugeben. Wird einer siebzig, damit er Söhne gezeugt hat, die ihrer Mutter die Frage, wer neben wem sitzen soll, nicht beantworten können und wollen und sich beim Siebziger, über jedes Protokoll erhaben, gleich neben den Blauen Portugieser setzen? Ich wäre ein prädestinierter Laudator, meint die Mutter (in anderen Worten), aber ich lasse mich lumpen, ich hätte eine Kassette mit Largo al factotum della città anzubieten. (So einer bin ich!)
Der pensionierte Versicherungsdirektor lernt Griechisch mittels Langenscheidt-Tonbandkassetten. Er fährt im Sommer nach Saloniki. Im Vorjahr Spanisch, und Türkisch im Jahr davor. Der Gynäkologe kommt von gyné, die Frau: Alles fügt sich und alles ist ganz einfach, wenn man das weiß, seine hat Migräne (von griech. Hemikrania, hemi – halb + kranion – Schädel), was für etymologische Elixiere! Die Grenzenlosigkeit der Sprache führt zur Grenzenlosigkeit seiner Welt, mulieres sequentur, rechts ein Hörgerät, warum ich nicht zum Beispiel einmal etwas über ihn schreibe? Das Problem an den grenzenlosen Welten ist, dass sie ausrinnen, wenn man sie nicht sofort umtopft. Zu Papas Entsetzen wirft der Diözesanbischof praktisch an seinem Geburtstag den Dompfarrer aus dem Dom! Jetzt, wo er (der Dompfarrer) siebzig ist! Jetzt, wo er (der Dom) restauriert ist und er (der Bischof) mit der Orgel und den Freskos protzen kann! Kein Wunder, dass über den Predigten des Nochdompfarrers ein letzten Endes leichter Hauch von Resignation liegt. Auch der Einflussbereich eines Pfarrkirchenrats ist nicht unbegrenzt. Aber selbstverständlich kann sich der Bischof jetzt einen neuen Pfarrkirchenrat suchen! Alle für einen: so viel steht fest. Schließlich hat erst der Dompfarrer Papa in langen theologischen Diskussionen heim ins Reich geholt, das nicht von dieser Welt ist! Der Hausprimarius hat schon beim Sechziger coram publico ein selbst gedichtetes »Marterl« verlesen, das in dieser Region nicht nur einen Gedenkstein bedeutet, sondern auch den Grabsteinspruch darauf: Unter diesem Rosenhügel liegt der Bundeskanzler Figl oder Unter diesem Higele liegt der Meister Wiegele. Der Hausprimarius fragt, ob er mich Kollege nennen darf, der Hausprimarius ist noch von der alten Schule. Er weiß um Papas Konstitution Bescheid. Er kennt Papas Blutdruck und Blutzucker. Er kennt die Schilddrüsen, den Kehlkopf und die Galle, er kennt Prostata, Herz und Nieren, und er weiß, was Papa weiß und denkt: Einen alten Baum pflanzt man nicht mehr um! Mit siebzig hört man nicht mehr zu rauchen auf. Garantiert hat der Hausprimarius für den eigenen Herzinfarkt auch schon lyrisch vorgesorgt, den Altbürgermeister muss man ersetzen. Und damit eigentlich genau genommen auch seine Frau. Aber um alles in der Welt nur ja nicht durch den Bürgermeister! Und seine Frau. Der Zahlkellner im Sandwirth bemüht sich seit Jahrzehnten so dreinzuschauen, als sei er aus Seife geschnitzt.
Oh, müssen wir wirklich alt und hässlich, faltig und schwachsinnig, beschränkt und verstehend werden, damit sich unser Los erfüllt! Mein Desinteresse an meinen eigenen Freunden lässt sich locker genetisch erklären: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm! Alle außer mir möchten anlässlich meines Geburtstags nicht in der Haut meiner Frau stecken. Niemand außer mir möchte in meinen Texten stecken: Dabei sind meine Geschichten genau besehen überbiografisch: Da
Weitere Kostenlose Bücher